logo

Debatte
And the Winner is ….
Wie die Logik des Netzes eine neue Ökonomie von Journalismus und Marketing prägt

Frank Lobigs, Professor für Medienökonomie, TU Dortmund
Nico Lumma, COO, next media accelerator
Mattias Schrader, CEO, SinnerSchrader
Moderation: Petra Sorge, Redakteurin Cicero

Anmoderation Ingrid Scheithauer
Wir kommen zur Debatte und begeben uns damit auf die Suche nach der neuen Ökonomie von Journalismus und Marketing, die die Logik des Netzes hervorbringt. „And the Winner is….
Diese Runde moderiert Petra Sorge. Sie ist Redakteurin bei Cicero. Ihre Themen dort sind u.a. Netzpolitik und Digitales und sie verantwortlich für die digitalen Aktivitäten des Monatsmagazins. Petra Sorge bitte.

Anmoderation Petra Sorge

Zunächst begrüße ich Matthias Schrader. Er ist Vorstandsvorsitzender von SinnerSchrader, einer Digitalagentur in Hamburg, die er 1996 gegründet und drei Jahre später an die Börse gebracht hat. Ein Beispiel dafür, dass Content Marketing sehr erfolgreich sein kann. Mit Curved.de hat er eine Plattform geschaffen, die Informationen über Smartphones anbietet und die von E-Plus finanziert wird. Zudem organisiert er seit 2006 jährlich die hochkarätige Internet Konferenz „Next“. Herr Schrader wird uns hoffentlich viel über diesen Bereich des Marketing und des Journalismus – Fragezeichen – erzählen. Und ja, Herr Schrader hat neben Geschichte auch Informatik studiert.

Als nächstes bitte ich Nico Lumma auf die Bühne. Er ist der Macher von Next Media Accelerator; das ist eine kleine Agentur, die Talente sucht und die versucht, neue innovative Konzepte marktreif zu machen. Nico Lumma ist auch vorher schon viel im Netz unterwegs gewesen – zum Beispiel als Social Media Chef von Scholz & Friends. Er gehört zu den Mitbegründern des SPD-nahen Think-Tanks D64. Dieses Zentrum für digitalen Fortschritt hat zum Beispiel eine Klage gegen Vorratsdatenspeicherung mit unterstützt. Zudem berät Nico Lumma im Landesrat für digitale Entwicklung und Kultur Rheinland-Pfalz Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Er sagt von sich, seit 1995 sei er nicht mehr offline gewesen als Blogger, als Bild.de-Blogger und die Wirtschaftswoche hat ihn vor einiger Zeit zu den 100 wichtigsten Internetköpfen gewählt.

Und schließlich Frank Lobigs, Professor für Journalismus mit dem Schwerpunkt Medienökonomie an der Technischen Universität Dortmund. Frank Lobigs hat einen wichtigen Aufsatz geschrieben über die Finanzierung von Journalismus hier in Deutschland, er ist der Frage nachgegangen, wie es sich rechnet in einem ökonomischen Kontext, der vor allem durch die US-Industrie geprägt ist. Er ist zudem Mit-Herausgeber der Zeitschrift „Medienwirtschaft“, Zeitschrift für Medienmanagement und Medienökonomie. Und er wird diese Runde mit einem kleinen Vortrag beginnen, darauf freuen wir uns jetzt.

5 Thesen von Frank Lobigs

Sehr geehrte Damen und Herren, fünf Thesen in fünf Minuten. Das können nur Ökonomen. Also: Wer gewinnt und wer verliert im neuen digitalen Paradigma? – Schauen wir in eine Zukunft, die bereits begonnen hat!

These 1 ergibt sich direkt aus dem Vortrag von Katharina Zweig:
Personalisierte „Big-Data-Relevanz“ schlägt und zersetzt journalistische Relevanz: Die Big-Data-Plattform-Algorithmen spielen nur das aus, was die individuellen Nutzungszeiten und die Werbeeinnahmen der Plattformen maximiert. Journalistische Relevanz ist gleich ökonomische Irrelevanz.

These 2: Suchmaschinen- und Social-Media-Optimierung zersetzt journalistische Vollständigkeits- und Markenansprüche: Die Google-Findbarkeit und die Facebook-Newsfeed-Viralität einzelner Inhaltsfetzen gelten alles, journalistisch begründete Vollständigkeit und die klassischen Webseiten nichts. Auch die Marken verwässern in den Newsfeeds und Google-Trefferlisten bis zur Unkenntlichkeit. Gute Content Marketing-Angebote sind für die Nutzer genau so glaubwürdig.

These 3: (Zirkuläres) Kuratieren und visuell aufgemotzte Inszenierung schlägt journalistische Recherche und Investigation: Es sind nur noch solche Medienunternehmen erfolgreich, die mit sehr kleinen Redaktionen sehr große Reichweiten über Google und Facebook erzielen. Das geht nur dann, wenn die Redaktionen kuratieren statt recherchieren. Erfolgsrezept: Man nehme Big-Data-kompatible Geschichten von anderen, motze diese Google- und Facebook-geschmeidig auf – wie etwa durch Clickbait-Teaser und Video-Clips – und „klaue“ dem Urheber so nicht nur seine Informationen, sondern auch noch die Reichweite… In einem solchen Wettbewerbsumfeld ist der Wert von exklusiv erarbeiteten Informationen exakt gleich null – und das Billig-Kuratieren zwingende Strategie.

These 4 ist in der Radikalität vielleicht überraschend: Content Marketing bzw. Native Advertising schlägt Journalismus. Doch auch hierhinter steht eine unerbittliche Markt-Mechanik. Echter Journalismus ist im neuen Paradigma nicht mehr refinanzierbar und wird durch Content Marketing ersetzt. Oder in einem einfachen ökonomischen Dreisatz:
Da 1. das alte Paid-Media-Werbemodell kaputt ist, setzen… 2. die Werber auf Content Marketing und Owned Media, um mit Premium-Inhalten zahlungskräftige Zielgruppen überhaupt noch zu erreichen, womit sie… aber 3. auch noch das Paid-Content-Modell für den Journalismus kaputt machen – weil sie kostenlos genau das pushen, was der Journalismus eigentlich verkaufen will. Damit ist nun endgültig alles kaputt, was unabhängigen digitalen Journalismus noch refinanzieren könnte.

Content Marketing ist hingegen das natürliche Erfolgs-Werbemodell des neuen Plattform- und Social-Media-Paradigmas.
„And the winner is Content Marketing“, können wir deshalb hier festhalten. Doch dies ist nur der Trostpreis-Gewinner!

Denn, These 5: Auch in den neuen News-Ökosystemen bleiben die Silicon-Valley-Riesen die eigentlichen digitalen Mega-Gewinner, bzw. die „Winner-Take-All-Winner“:
Die erfolgreichen Plattformen können jederzeit beliebig manipulativ und missbräuchlich in den Markt eingreifen. Da sich alle Nutzerinformationen – und nicht nur selektive – bei Ihnen bündeln, können sie Ihre Ökosysteme auf Dauer jederzeit beherrschen und ausbeuten, da sie uneinholbare, monopolistische Marktvorteile haben. Eine ökonomische und zunehmend auch politische monopolistische Machtverschiebung hin zu den zentralen Ökosystem-Plattformen ist damit vorgezeichnet. Wie Volker Lilienthal heute hier analysiert hat: Die Silicon Valley-Riesen werden das deutsche Mediensystem kolonialisieren und den „eingeborenen“ deutschen Medien ihre Regeln oktroyieren.

Also komme ich zu dem Ergebnis: „And the winner is Facebook, Google, Apple“. Trostpreisgewinner ist das Content Marketing. „Loser-loses-all-Loser“ ist hingegen marktfinanzierter Journalismus. Ergo: Rettet Silicon Valley den Journalismus?
Simpel: Nein.

Debatte

Petra Sorge: Alle Werbemodelle kaputt, Journalismus kaputt. Wenn alles für die Katz ist, Herr Lumma, warum suchen Sie dann überhaupt noch start-ups im Medienbereich, die Sie fördern können?

Nico Lumma: Vielen Dank für Ihre fünf Thesen. Willkommen in Deutschland, der Pessimismus blüht. Ich glaube in der Tat, dass der Journalismus so spannend ist wie nie zuvor und dass wir Möglichkeiten haben wie nie zuvor. In den USA, nicht nur im Silicon Valley, sondern vor allem an der Ostküste entstehen neue Inhalteanbieter wie Mic.com, Vox.com, Thrillist.com, Refinery29 und und und. Alles Anbieter, die intensiv recherchieren und lange Texte schreiben. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass Leute lange, so lange und noch längere Texte am Bildschirm lesen, aber genau das passiert dort. Dort werden, wie beim Standard in Wien, eben nicht die Klickrate oder die Anzahl der Page Impressions, also das typisch deutsche IVW, gemessen, sondern es wird die Verweildauer gemessen.

Petra Sorge: Können Sie kurz sagen, was Mic ist?

Nico Lumma: Mic.com ist, genauso wie die anderen genannten neuen Anbieter, eine Plattform, die sich an die sogenannten Millennials richtet, also diejenigen, die etwas jünger als die meisten hier im Raum, also eher 20 Jahre jünger sind, die nicht mehr so sehr darauf fokussiert sind, was die herkömmlichen Medienmarken machen, sondern die nach Inhalten suchen, die auf die Zielgruppe 20 bis 30 Jahre zugeschnitten sind.

Petra Sorge: Also „Katzeninhalte“?

Nico Lumma: Nein, eben keine „Katzeninhalte“! Willkommen in Deutschland. Wenn wir Buzzfeed betrachten mit seinen vielen Katzeninhalten, stellen wir fest, dass Buzzfeed es schafft, die Leute von den Katzeninhalten hinüberzuschieben in den Politikbereich. Buzzfeed hat von Politico ein Politikteam abgeworben, um einen eigenen Politikbereich aufzubauen. Das machen sie nicht, weil sie im Politikbereich Katzenbilder veröffentlichen wollen, sondern weil sie dort recherchierte Artikel veröffentlichen.
Um auf Ihre Frage zurückzukommen, warum suchen wir überhaupt nach neuen Geschäftsmodellen? Weil gerade total viel passiert, weil es gerade total spannend ist. Wir sehen, dass herkömmliche Modelle nicht mehr funktionieren, wir sehen, dass Medienhäuser mit Print über Jahrzehnte wundervolle Margen eingefahren haben. Wir sehen, dass sie den Desktop kaum monetarisieren können, also das klassische Web, und wir sehen, dass die Medienhäuser jetzt bei dem Schwenk der Aufmerksamkeit vom Web hin zum Mobile komplett blank sind und gar nicht mehr wissen, was sie machen sollen. Sie wissen nicht mehr, wie sie junge Leute erreichen, sie wissen nicht mehr, wie man hinterherkommen soll, wenn auf einmal Snapchat neu ist. Man kommt nicht mehr hinterher, es ist eine Geschwindigkeit da, die Märkte verändern sich rasant, die Aufmerksamkeiten verändern sich rasant und das macht es total spannend, weil in dieser Krise, die Sie immer alle beschreiben, total viel Positives ist, es gibt eben lauter neue Sachen, die man entdecken kann und das versuchen wir.

Petra Sorge: Aber von den vier neuen Projekten, die Sie entdeckt haben, sind drei, die im weitesten Sinne Werbung anbieten. AdTriba macht Tools für mehr Transparenz im Online-Marketing, SpotGun ist eine Quiz-App fürs Fernsehen und Nqyer macht Influencer-Marketing, versucht also, Prominente für Marken zu gewinnen. Also nur Werbung und kein Journalismus?

Frank Lobigs: Das ist bewusst so ausgewählt, damit die auch Erfolg haben können am Markt. Sie würden jeden, der Journalismus produzieren will und das als alleiniges Geschäftsmodel hätte, wegschicken, weil dafür keine Investoren zu erwarten sind.

Nico Lumma: Das will ich so nicht stehen lassen. Erstens sind wir gerade erst gestartet, d.h., wir müssen unsere Bekanntheit steigern. Im ersten Durchgang hatten wir 90 Bewerbungen gehabt, und im zweiten Durchgang, der Anfang März begonnen hat, hatten wir 140 Bewerbungen – wohlgemerkt aus ganz Europa. Wir haben im ersten Durchgang in der Tat vier Teams an Bord geholt, die alle aus Deutschland waren, wir haben im zweiten Durchgang eher Teams aus Europa.
Die Schwierigkeit ist, aus den Bewerbungen Teams auszuwählen, von den wir glauben, dass sie eine Möglichkeit haben, zu wachsen. Wir haben keine Projekte, sondern wir haben Firmen, die wir in einer ganz frühen Phase finanzieren, die bekommen 50.000 Euro, wir bekommen 10 Prozent der Anteile. Das ist der Einstieg in eine sogenannte Venture Capital Finanzierung. Das heißt und das sollte völlig klar sein, dass diese Firmen sehr schnell skalieren müssen. Sie müssen sich sehr schnell einen Markt erschließen. Das sind also keine klassischen journalistischen Modelle, die da in Frage kommen, sondern wir müssen schauen, dass wir in möglichst kurzer Zeit mit diesen Firmen eine große Reichweite erzielen. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir nicht nach journalistischen Inhalten schauen, da haben wir einen großen Fokus drauf – nur, wir können uns diese Firmen auch nicht backen. Wir haben unseren Bewerbungsprozess, der alle sechs Monate stattfindet und wir wählen aus dem, was an Bewerbungen hereinkommt, aus. Wir sind kein Inkubator, der selbst sagt, folgende drei Ideen müssen wir unbedingt machen und dann machen wir sie, sondern sind eine Art Durchlauferhitzer, wir sehen, was kommt und versuchen das dann zu pushen.

Petra Sorge: Es gibt allerdings auch ein Beispiel bei next media accelerator, das die Verbreitung journalistischer Inhalte direkt unterstützt: spectrm. Können Sie uns das Projekt erklären?

Nico Lumma: spectrm wurde von drei jungen Herren aus Berlin gegründet, die erkannt haben, dass sich Aufmerksamkeiten verändern, dass immer mehr Leute Messenger-Dienste nutzen, also Whatsapp, Facebook-Messenger oder Telegram oder Slack und sich darüber auch informieren. Folglich haben sie eine Plattform entwickelt, mit der Medienanbieter redaktionelle Inhalte über Messenger-Systeme an ihre Nutzer verbreiten können. Sie sind derzeit weltweit die einzigen, die eine solche Plattform anbieten. Gestartet sind sie mit Facebook-Messenger. Zwischen den Jahren, als die Transferperiode der Fußball-Bundesliga lief, haben sie mit Bild.de ein Projekt gestartet: den Transferticker und sie machen genau das, was für die Nutzer spannend ist, sie distribuieren die Inhalte über einen Kanal, auf dem sie direkt erreicht werden. D.h. hohe Klickraten, stark in der Aktion usw. Jetzt versucht spectrm, das über verschiedene Plattformen auszurollen, damit sie nicht nur von Facebook abhängig sind, sondern auch Slack und andere nutzen können.
Slack ist sehr spannend; es ist eine Service-Software, mit der man ganz einfach in Teams kommunizieren kann. Da gibt es sogenannte Bots, also automatisierte Prozesse, die bestimmte Interaktionen erlauben. Zum Beispiel: Der spectrm-Bot schiebt die Inhalte von einer bekannten Programmierzeitschrift, die auch eine Website hat, nämlich t3n aus Hannover, in eine Slack-Instanz, das ist ein Team von fünf bis 50 Personen. D. h., es gibt jetzt einen t3n-Bot, der Inhalte für alle, die es interessant finden, hineinschiebt. Bereits am ersten Tag war dieser Bot auf über 100 Slack-Instanzen unterwegs. Man sieht sehr schnell, wo die Aufmerksamkeiten sind und wie schnell dort Inhalte distribuiert werden können.
Jetzt ist die Herausforderung, die Distributionslogik zu optimieren. Z. B., wenn man Inhalte von zehn Publishern abonniert hat, dass man nicht morgens um 7:30 Uhr die Inhalte von zehn Publishern bekommt, wie es bei den Chefredakteurs-Newslettern passiert, sondern dass man dann die Inhalte bekommt, wenn sie relevant sind. Also morgens Politik, mittags Fußball, abends Gossip, je nachdem, wie man das am liebsten hätte.

Petra Sorge: Herr Schrader, Sie haben mit Curved.de ein Tech-Portal mit Focus auf Mobile Kommunikation ins Leben gerufen; ein besonderes Beispiel für Content Marketing für einen Telefonanbieter. Sie haben von Herrn Lobigs den Trostpreis erhalten als Content Marketer. Glückwunsch dazu. Was haben Sie denn richtig gemacht?

Matthias Schrader: Wir hatten für E-Plus zwei Herausforderungen zu bewältigen. Das eine ist, wovon wir heute schon viel gehört haben: die Plattformen sind die neuen Gate-Keeper und haben schon eine dominierende Funktion. Aus Sicht des Advertisers stellt sich das so dar: Der Zugang zu den Nutzern, zu den Lesern, wird geregelt über einen Auktionsmechanismus, der dazu führt, dass in der Wettbewerbsarena der Werbetreibenden letztendlich die Marge eines Produktes oder eines Customer-Lifecycles verfrühstückt wird in der Kundenakquise.

Petra Sorge: Das war jetzt kompliziert

Lobigs: Man könnte es vielleicht so sagen, auf Google oder auf Facebook effektiv zu werben, ist teuer.

Schrader: Genau, es ist teuer. Da stellt sich die Frage, was macht man in dieser Situation? Und die andere Entwicklung, die wir gesehen haben: In den USA, besonders an der Ostküste, gibt es spannende neue Projekte wie TheVerge von Vox Media. Das ist aus unserer Sicht zeitgemäßer Tech-Journalismus. Und wir haben uns gesagt, so könnte ein deutsches Angebot aussehen. So haben wir mit „Curved“ eine eigene Medienmarke kreiert, mit dem Ziel, Reichweite zu erzeugen, um als Marke unabhängig zu werden von den Plattformanbietern und um Kommunikationsbedürfnisse zu befriedigen. Das ist ja die Ur-Idee von Content Marketing. Das ist ja nicht Schleichwerbung ….

Petra Sorge: …. steht aber auf Wikipedia …

Schrader: … kann sein, aber dann ist es nicht gut kuratiert. Die Ur-Idee des Content Marketing stammt von einem Reifenhersteller. Michelin stand vor der Frage, wie sie das Thema Autoreifen kommunizieren könnten. Autoreifen interessieren ja eigentlich niemanden. Das gleiche Problem haben die Mobilfunkanbieter, Tarife interessieren am Ende des Tages keinen Menschen. Michelin hat den Michelin-Guide entwickelt; die Idee dabei war, die Autonutzung spannender zu machen. Wenn ich ein mit einem oder mehreren Michelin-Sternen ausgezeichnetes Restaurant auswähle, das mindestens 100 km entfernt liegt, dann fahre ich mit dem Auto dahin. Ich nutze das Auto und damit die Reifen ab, die Straßen waren damals noch ein bisschen schlechter. Und Michelin verkauft mehr Autoreifen. Das ist letztendlich auch die Idee von Curved.de: Wenn wir mit Curved eine Reichweite von einer Million, möglicherweise zwei Millionen Nutzern erzielen, dann ist das ein Business-Case als Telekommunikationsunternehmen. Wenn der durchschnittliche Nutzer nur zu zehn Prozent mehr Daten nutzt, weil er auf interessante Ideen kommt, was er mit seinem Smartphone machen kann, weil er Videodienste nutzen kann, weil er Snapchat nutzen kann, weil er Online-Games machen kann. Das heißt, wir probieren Schritt für Schritt aus, ob wir mit Curved unser Reichweitenproblem lösen können und unabhängiger werden von den Plattformen. Und ob wir inhaltlich die Nutzung unserer Produkte (die niemanden interessieren) steigern können, in dem wir dafür sorgen, dass sich die Endkunden das richtige moderne Smartphone aussuchen, die richtigen Apps installieren, Spaß haben mit ihren Geräten und dann teure Datentarife zahlen.

Petra Sorge: Das klingt super für die E-Plus‘ und die Reifenhersteller dieser Welt. Aber stellen Sie sich vor, Sie hätten einen traditionellen Zeitungsverleger als Kunden. Was würden sie diesem raten?

Schrader: Stellen Sie sich einen Bahnhofskiosk vor, da liegen in den ersten Regalmetern die überregionalen Tages- und Wochenzeitungen und Wochenmagazine. Dann kommt noch das ein oder andere Monatsblatt. Und dann kommen 39 Meter Unterhaltung und Nutzwert. Wir sind im Content Marketing in den 39 Metern, wir sind nicht in den ersten Regalmetern, wir sind in den dahinterliegenden 39 Metern. Auch da sind Journalisten tätig, auch da gibt es Verlage, die Fachjournalisten beschäftigen, die entsprechende Nutzwert-Zeitschriften produzieren und die auch Probleme haben.

Petra Sorge: Machen Sie Journalismus?

Schrader: Ich glaube ja. Wir machen mit Sicherheit keinen Investigativ- und keinen klassischen Recherche-Journalismus. Da muss man unterscheiden, wir sind jetzt im Jahr 2016, aber schauen wir einmal zurück: In den 80er Jahren begann das Privatradio als Verleger-Radio – wo war da der Journalismus? In den 90er Jahren startete das Privatfernsehen, das war Verlegerfernsehen! Wir haben heute die RTL-Zahlen gesehen, die besten RTL-Zahlen ever, wo ist bei RTL der Journalismus? Wir haben mit dem Internet eine Plattform, das kein Medium ist, sondern ein Dienste-Service. Das nicht anzuerkennen, führt zu grundlegenden Missverständnissen. Wir haben doch schon bei Marshall McLuhan gelernt: The medium is the message. Im Radio kann ich offensichtlich nur Musik machen, im Fernsehen geht nur „lean back“, also Entertainment. Und das Internet ist nicht primär ein journalistisches Medium, sondern es ist ein Dienste-Medium, darauf laufen Dienste wie Chats, Games, Unterhaltung, Services, Applikationen. Und eine dieser Applikationen, die zufällig auf diesem Screen stattfindet, kann ein journalistisches Format sein. Es ist Aufgabe, das Netz nicht als ein journalistisches Format zu sehen, sondern als einen Dienst, auf dem Services und eben auch journalistische Inhalte ablaufen können. Das ist ja auch die Basis für Nico Lummas Arbeit beim next media accelerator.
Aber soweit waren wir schon einmal. Ich bin ja quasi ein Internet-Opa, ich habe 1995 angefangen. Damals war die zweitgrößte Suchmaschine in Deutschland Fireball, das war eine Verleger-Suchmaschine von Bertelsmann mit einem Marktanteil von 22 Prozent. Und was haben Bertelsmann und Gruner + Jahr gemacht? Sie haben diese Suchmaschine abgeschaltet und das Geld in RTL gesteckt. Und damit übrigens in Free Content investiert. Damit sind wir beim Thema Leistungsschutzrecht – Content muss etwas kosten. Aber das war im Radio nicht der Fall, das war im Fernsehen nicht der Fall, und im Internet muss es auf einmal etwas kosten? Wenn man sich die Entwicklung von Medienplattformen in den vergangenen 30 Jahren anschaut, erkennt man doch: Das ist totaler Quatsch. Noch einmal: Das Netz ist ein Dienste-Medium. Und jetzt müssen wir sehen, welche Dienste entwickeln wir auf dieser Plattform, die sich am Ende des Tages monetarisieren. Da müssen wir einfach experimentieren. Und das gilt eben auch für journalistische Angebote. Heute hat noch keiner die finale Antwort darauf, aber ich glaube, es ist viel mehr möglich als in den zurückliegenden dreißig Jahren.

Petra Sorge: Ist das denn wirklich Quatsch im Internet mit dem Bezahlthema?

Frank Lobigs: Das ist nicht vollkommener Quatsch, es gibt ein kleines Segment, das nenne ich „das alte System im neuen“, wo die klassischen Anbieter, wie z. B. die FAZ, eine App verkaufen, die eigentlich eine Zeitung ist. Das ist ein Angebot für die Nutzer, die aus der alten Welt kommen. In der neuen Welt sehe ich nirgendwo Bezahlströme, die in irgendeiner Form eine Rolle spielen. Eine Zahl dazu: Der Anteil an Einnahmen, den alle deutschen Verlage im Internet durch Paid-Content erreichen, liegt bei ungefähr ein Prozent ihrer Gesamterlöse. Und das ändert sich nicht zum Positiven. Meine Aussage über den Content-Markt bezog sich genau darauf. Der aktuelle Journalismus eignet sich nicht als Paid-Content, dafür zahlt keiner, das ist nachgewiesenermaßen so. Für Paid Content braucht man sehr spezielle, exklusive Inhalte, die Probleme der Nutzer lösen. Das wäre das, wofür eventuell noch Geld bezahlt würde, aber dieses Feld besetzt jetzt Content Marketing. Also gibt es spezielle Inhalte, die die Probleme einer bestimmten Zielgruppe adressieren als kostenloses Angebot, das zudem sehr gut gemacht ist. Im Bereich Content Marketing arbeiten inzwischen große Redaktionen in den entsprechenden Agenturen, und die verdrängen Paid-Content-Denkbarkeiten im Markt. Das heißt, natürlich machen die keinen investigativen Journalismus, aber das macht in Deutschland auch nur der „alte Markt“. Im neuen Markt kann man Recherche und Investigatives hinten und vorn nicht finanzieren, weil der Werbemarkt total schwach ist. Er hat sich noch negativer entwickelt, er bricht quasi für die klassischen journalistischen Anbieter in sich zusammen, und der Paid-Content-Markt, der war noch nie gut, und das Einzige, was dort noch vergleichsweise gut läuft, ist die gute alte Zeitung, digitalisiert fürs Internet.

Petra Sorge: Was auch läuft, sind zum Beispiel Native Ads.

Frank Lobigs: Das ist im Grunde genommen auch Content-Marketing, nur von Verlagen betrieben.

Petra Sorge: Im April 2014 schimpfte der Spiegel noch über Native Ads, bezeichnete sie als „Seelenverkäufer“. Im Januar 2016 setzte dann das Gewerkschaftsmagazin „Der Journalist“ das Thema auf den Titel und schrieb, man müsse jetzt mit Vorurteilen aufräumen und gab Tipps. Warum hat das zwei Jahre gedauert?

Frank Lobigs: Das hat nicht zwei Jahre gedauert, sondern lief längst schon hinter den Kulissen, gleichsam heimlich eingeführt. Bereits in der Phase, als man noch über Native Advertisement diskutierte, wurden die entsprechenden Abteilungen aufgebaut, die heute jeder Qualitätsverlag hat, um Native Advertising zu machen. Und letztendlich ist das Content Marketing, nur von der anderen Seite betrieben. Da werden redaktionelle Leistungen eingekauft, aber dahinter stehen dann auch wieder Agenturen oder Unternehmen. Das ist das Einzige, was in den Plattformen funktioniert, weil sie das nicht rausfiltern, weil das etwas ist, das selbst Reichweite aufbaut. Curved.de ist das Beispiel dafür. Und wenn das von einem Werber oder einem Unternehmen bezahlt wird, dann hat man das Problem, im Internet keine Erträge zu erzielen, gelöst.

Petra Sorge: Herr Schrader, kaufen Sie so etwas auch oder machen Sie das für traditionelle Medienhäuser?

Matthias Schrader: Nein, traditionelle Medienhäuser gehören nicht zu unseren Kunden, die machen alles selbst. Redaktionelle oder auch digitale Produkte sind deren Kerngeschäft; davon wird wenig nach draußen gegeben, eventuell mal ein Ideen-Sparing. Das Meiste passiert in den Traditionsmedien intern. Als Agentur-Dienstleister sind wir für Markenunternehmen unterwegs und erstellen für sie entsprechende Konzepte und bauen gegebenenfalls auch die Redaktionen dafür auf.

Petra Sorge: Ist für Sie andersrum das Native Advertising ein Konkurrenzmodell? Wenn die journalistischen Häuser versuchen, auch in dieses Segment zu gehen?

Schrader: Klar. Für den Kunden ist das eine die Alternative. Es stellt sich dann die Frage, wer macht es besser? Wie schnell lernen die traditionellen Verlagshäuser, datengetrieben Angebote zu formulieren und die Content-Distribution auf die Beine zu stellen? Das Interessante dabei ist, wie der Nutzer reagiert, wie sich der Nutzer-, der Lesermarkt verändert? Das ist die dritte Kraft, von der alles ausgeht. Das ist die unsichtbare Hand, die die gesamte Industrie verändert. Als die Suchmaschine Fireball 1998/1999 ihre Hochphase hatte, da hatte Larry Page gerade die ersten Hunderttausend Dollar bekommen und war noch drei Jahre vom Produktstart entfernt. Das muss man sich, auch wenn es schwerfällt, immer wieder einmal vergegenwärtigen. Was ist heute relevant für die Nutzer, was ist relevant für die Smartphone-Generation? Wir sehen, dass die Mediennutzung extrem auf die kleinen Screens wandert, bei einigen Medienmarken findet schon mehr als die Hälfte des Content-Konsums auf dem Smartphone statt. Damit haben wir wieder die alte Walled-Garden-Diskussion, wer zäunt da ein? Ist das ein Samsung-, Apple- oder Google-Betriebssystem? Oder ist es upday? Oder ist es Facebook?
Aber wir kommen ja aus einem Walled-Garden: die Fernsehfrequenzen waren beschränkt, und auch die Druckerei- und Vertriebsstrukturen für Print waren de facto beschränkt, also auch ein Walled-Garden.

Frank Lobigs: Aber in diesen alten Walled-Gardens wurde mit den monopolistischen Erträgen noch Journalismus finanziert und zwar durchaus guter Journalismus. Das ist jetzt nicht mehr so, das Geld fließt nun unversteuert direkt auf die dicken Konten in den Steueroasen und dann in die USA. Warum sind Facebook und Google so groß geworden? Weil sie extrem viel Geld investiert haben, weil sie mittlerweile einen Riesenmarkt haben, den sie auch konsequent weltweit entwickelt haben. Da kommen wir nie mehr heran. Da können Sie sagen, es gab einmal Versuche, aber das Spiel ist gelaufen. Dann kauft Facebook Whatsapp noch dazu, das muss man sich vor Augen führen, was das heißt. Da kommt keiner mehr ran.

Matthias Schrader: Richtig. Aber es hat auch keiner gemeckert, dass die Privatradio-Erträge keinen guten Journalismus im Radio gebracht haben.

Frank Lobigs: Die Landesmedienanstalten haben das immer wieder moniert und dies in ihren Programmberichten festgehalten.

Matthias Schrader: Ich als Hörer habe nichts davon mitbekommen. Qualitätsjournalismus findet im Öffentlich-Rechtlichen statt, aber nicht im Privatradio, nicht im Privatfernsehen. Deshalb ist die Diskussion mit den Verlagen immer schwierig, weil die dritte mediale Innovation nun alles verändert. Da heißt es von Verlegerseite, „man, da ist es nicht gelungen, uns breit zu machen“, und da sage ich: „Aber ihr hattet alle Chancen dazu!“.Petra Sorge: Herr Lumma, sehen Sie das auch so? Was machen die Verlage falsch?

Nico Lumma: Ganz viel machen sie falsch. Zudem haben sie ein Problem, das in dem Wort „Legacy“ steckt: altertümliche Strukturen, das fängt bei den Mitarbeitern an, die sie schon sehr lange haben und die lieber für Print schreiben mit all den schönen Formaten. Das hat mit Redaktionssystemen zu tun. Das ist eine Palette an Themen, die im Weg stehen. Es ist ein genereller Kulturwandel, der in der Medienbranche einhergeht. Mittlerweile machen Verlage viel mehr richtig als früher, sie greifen diesen Wandel auf, aber das dauert seine Zeit.

Petra Sorge: Was ist denn richtig?

Nico Lumma: Richtig ist, Dinge auszuprobieren. Es gibt kein Patentrezept, jeder Verlag muss sich in die Lage versetzen, zu experimentieren. Die Zyklen der Innovation verlaufen immer schneller, und gleichzeitig, parallel dazu, verändern sich die Aufmerksamkeiten in den Zielgruppen rasend schnell. Snapchat hat rund 200 Millionen aktive Nutzer, d. h. Verlage müssen sich die Frage stellen, was ist unsere Snapchat-Strategie? Und in welche Abhängigkeiten begeben wir uns dort? Warum ist das relevant? Das Wall Street Journal hat seiner älteren Leserschaft erklärt, wie Snapchat funktioniert. Das Wall Street Journal erkennt also, dass seine künftigen Leser dort sind und es sie dort abholen muss, wo diese aktiv sind. Also ist das Wall Street Journal auch da aktiv. Damit geht die Frage der Monetarisierung einher. Früher war das simpel, da hat man das Blatt gemacht, man hatte viel Platz für Werbung und ein bisschen Platz für Text, und es gab die Abonnenten. Mit dieser Strategie ließ sich gutes Geld verdienen. Das ist heutzutage anders.
Auch im Musikmarkt haben lange alle geklagt. Mittlerweile wächst der Markt wieder ordentlich. Das alte Modell – jemand hat einen Tonträger, den verkauft man, man macht Konzerte und verkauft Tickets – wurde verändert. Inzwischen gibt es viele Erlösquellen; und so wird das auch für journalistische Produkte passieren. Wenn Sie als Beispiel RocketBeans.TV aus Hamburg nehmen, das ist ein Internet-Fernsehsender. Ihrem möglichen Einwand, das sei kein Qualitätsjournalismus, werden viele junge Leute widersprechen. Also: RocketBeans.TV hat nicht zwei Einnahmesäulen, die haben acht oder neun – von Affiliate-Links für den Abverkauf von Produkten, über Spenden, über Content Marketing, Werbung auf unterschiedlichen Kanälen usw. Aus diesen acht oder neun Quellen bauen sie ihr Erlösmodell zusammen: Sie wissen, es könnten jederzeit eine, zwei oder drei dieser Säulen wegbrechen, sie sind immer alert und gucken, was kann als nächstes kommen, was kann uns weiterhelfen.

Petra Sorge: Wer ist denn überhaupt dieser Nutzer, für den wir das alles machen?

Nico Lumma: Das sind die unterschiedlichsten Zielgruppen. Jede Publikation hat ihre eigenen Nutzer. Es gibt einige, wie beim ‚Standard‘, die offensichtlich sehr agil sind und ganz viel kommentieren. Es gibt andere Nutzer, die sind eher passiv. Es gibt Nutzer, die sind nicht mehr Mobile first, sondern Mobile only, und für alle müssen wir die Angebote so verpacken, dass sie dem Nutzer gefallen und nicht dem Verlag.

Petra Sorge: Sie haben vorab für diese Konferenz in einem Statement gesagt, ein Produkt müsse skalierbar sein, um rentabel zu sein. Was meinen Sie mit „skalierbar“?

Nico Lumma: Wir haben viel über die Algorithmen gesprochen und über Reichweiten. Produkte, die heutzutage entwickelt werden, die müssen über den Algorithmus, über die Technologie, die dahintersteckt, wachsen können und nicht dadurch, dass man Hundertschaften von Menschen rankarrt, die etwas für einen machen. Das ist völlig egal, ob es ein journalistisches Produkt oder Influencer-Marketing ist. Es muss eine Produktbasis da sein, die das Skalieren ermöglicht. Beim Influencer-Marketing sind es eben nicht hundert Leute, die nach Leuten suchen, die man buchen kann, sondern es ist eine Plattform, die das Ganze organisiert, also Technologie.
Genauso kommt es bei journalistischen Angeboten darauf an, dass die Technologie dafür sorgt, dass die Reichweite vergrößert wird, indem Relevanzkriterien angelegt werden, um den Menschen bei dem Blattmachen zu unterstützen. Wenn man die Skalierbarkeit nicht hat, dann wird es in Zukunft schwer sein, überhaupt jemanden im Markt zu erreichen, weil einfach der Kostenfaktor immens ist, wenn man eine Sache nicht über einen Algorithmus erledigen lässt.

Petra Sorge: Im Moment sprechen wir die ganze Zeit nur über Verbreitung, Distribution und Technik. Wo ist eigentlich noch der recherchierende Journalismus?

Frank Lobigs: Der recherchierende Journalismus ist im alten Markt, der sich jedoch negativ, also rückläufig, entwickelt. Aber er bringt noch viel Geld ein, es sind immer noch siebeneinhalb Milliarden Euro, die bei den Zeitungen verfügbar sind. Im alten Markt haben wir noch recherchierenden Journalismus. Dass die Auflagen fallen, dass die Anzeigenumsätze zurückgehen, versuchen die Verlage durch Konsolidierung aufzufangen. Die Verlage tun sich zusammen, da ist noch viel Konsolidierungspotenzial im deutschen Markt. Da können und werden sich noch einige zusammenschließen, die bilden dann eine Zentralredaktion, die für sich stärker aufgestellt ist als die einzelnen Redaktionen und verbessern damit ihre Produktqualität, die Vielfalt leidet jedoch. Das ist etwas, wovon wir noch lange Zeit zehren werden, dass der alte Markt noch solche Redaktionen zulässt.

Petra Sorge: Wie lange wird dieser Markt noch bestehen?

Frank Lobigs: In flächendeckender publizistischer Abdeckung noch 10 Jahre.

Matthias Schrader: Es gibt ja immer Liebhaber-Objekte. Einige Publikationen wird es sicher auch in 20, 30 Jahren noch als Printprodukt geben. Es gibt zurzeit bei einigen Wochenzeitungen ja auch den Effekt, dass die Auflagen langsam wieder steigen und dass sie wieder jüngere Leser gewinnen. Aber es wird sicher eine Konsolidierung geben. Es wird wenige journalistische Leuchttürme geben, vieles wird auch verschwinden. Es wird eine stärkere Sortierung stattfinden, immer mehr Nachrichten und Content wird mir künftig durch die Plattformen über Streams zugeführt. Die Tages- oder Wochenzeitung wird, das ist meine These, das lean-back-Format am Wochenende am Frühstückstisch sein. Und was sich dazwischen entwickelt, wird spannend sein: Nehmen wir die Washington Post in den USA, die Jeff Bezos gekauft hat. Da wurde zunächst der investigative

Journalismus aufgebaut; 60 neue Leute verstärken die Redaktion, von insgesamt 700. Die Druckauflage sinkt weiterhin, in den letzten drei Jahren um 18 Prozent, aber die Online-Reichweite hat sich verdreifacht in dem Zeitraum seit Bezos da ist. Wie sich das auspendelt und wo der Boden für Print gefunden wird, das ist die Frage. Da gibt es sicher eine Abbruchkante, bei der Print nicht mehr effizient zu drucken und auszuliefern ist. Aber vielleicht übernimmt Amazon das Ausliefern, dann geht es vielleicht noch eine Weile länger.

Frank Lobigs: Vielleicht funktioniert auch die Strategie der FAZ, dass man eine FAZ plus-App macht und damit den Vertrieb ins Internet hineinnimmt. Für die, die jetzt noch solche Produkte lesen. Ich interpretiere das so, dass man hier auch Distributions- und Papierkosten sparen will, indem man versucht, den alten Markt in einen digitalen Markt umzuwandeln. Aber das wird nicht die Zukunft sein, die Jungen machen das nicht mehr mit.

Matthias Schrader: Und das ist auch so extrem teuer geworden. Zeitung wird ein echtes Luxusprodukt sein.

Nico Lumma: Den Tageszeitungen gebe ich noch fünf bis maximal zehn Jahre. Die Konsolidierung wird wahnsinnig werden, wir haben es gerade gesehen mit der Medienholding Nord und der Neuen Osnabrücker Zeitung: Das wird so weitergehen. Dann werden wir nur noch zehn bis zwölf Holdings in ganz Deutschland haben, die machen ihre Mantelredaktion in Berlin und dann wird lokal ein bisschen etwas dazu geliefert. Print wird eher verschwinden, aber das Handy wird das Medium der Zukunft sein, hier wird alles drauf sein, hier werden wir Lokalnachrichten haben, die werden relevanzsortiert sein, ob man es gut findet oder nicht und die Monetarisierung wird auch darüber laufen.
Und wenn Sie mich so fragen, ich warte immer noch auf ein Start-up, das sagt, wir machen skalierbar local mobile native Advertising, um dann einen Painpoint der Verlage zu heben. Und dann funktioniert auch wieder einiges im Markt.

Frank Lobigs: Das muss aber auch skalieren…

Petra Sorge: Herr Lobigs, wo ist der recherchierende Journalismus, wenn dem alten Printmarkt die Luft ausgeht?

Frank Lobigs: Dann ist er leider auch nicht mehr im neuen Medium, dann ist er ganz weg. Zumindest, wenn es marktfinanzierten Journalismus betrifft, dann muss man sich etwas anderes einfallen lassen.

Petra Sorge: Zum Beispiel?

Frank Lobigs: Man hat die öffentlich-rechtliche Finanzierungsform, aber die ist auch sehr ‚alt-strukturiert‘. Da braucht es mehr relevante Inhalte. Die Medienfreiheit ist ein hohes Gut, ein öffentliches Gut, das funktional interpretiert wird vom Verfassungsgericht. Wir brauchen relevante Inhalte, und wenn es nicht anders geht, müssen sie öffentlich finanziert werden. Da wird es eine

Diskussion geben müssen, wie man das Internet-entsprechend aufstellt. Das Problem ist, dass in der Phase, in der man umbauen müsste, in der man noch umbauen könnte, nichts passiert, weil man ja noch den funktionierenden Journalismus aus dem alten Markt hat. Dadurch könnte es auf einmal so sein, dass abrupt alles abbricht. Und davor habe ich Angst.

Petra Sorge: Jeder Sportverein, ob Hundesport-, Schach-, sogar Schieß-Verein, ist gemeinnützig, aber recherchierender Journalismus ist es nicht. Herr Lumma, Sie sitzen im Think Tank der SPD, warum ist das noch so?

Nico Lumma: D64 ist kein Think Tank der SPD, es ist ein SPD-naher Think Tank.

Petra Sorge: Gut, aber Sie sind Mitglied der medien- und netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes…

Nico Lumma: Ja, bin ich auch. Ich glaube, recherchierender Journalismus sollte nicht gemeinnützig sein. Hinter Journalismus steht ein Geschäftsmodell. Das sollten wir vorantreiben und nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten dafür suchen und nicht in Liebhaberei abdriften.

Petra Sorge: Stimmen Sie dem zu, Herr Lobigs?

Frank Lobigs: Ich stimme zu. Theoretisch. Nur sehe ich momentan nicht, woher in dem neuen Markt das Geld kommen soll. Ich denke, wenn überhaupt, dann hat der Journalismus vielleicht allenfalls noch im Content Marketing eine Chance im Markt. Denn Content Marketing wird immer mehr daran gemessen werden, wie glaubwürdig das ist, was da angeboten wird. Und man wird Mittel und Wege finden, um die Glaubwürdigkeit zu erwerben. Es ist ein ähnliches Problem wie beim Influencer-Marketing: Auch die Youtube-Stars, die Marketing-Deals eingehen, müssen als Influencer ihre Glaubwürdigkeit wahren, sie müssen authentisch bleiben. Und analog dazu, wird man Glaubwürdigkeit, die man an sich im Content Marketing erst einmal gar nicht vermutet, auch dort aufbauen müssen. Die Redaktion von Curved.de betont ja deutlich: Wir machen Journalismus. Und die Vermarktungsfrage hat nichts mit unserer Inhalteproduktion zu tun. Ob das stimmt oder nicht, weiß ich nicht. Aber das sind honorige Menschen. Man kann sich überlegen, ob sich hier neue Formen der journalistischen Glaubwürdigkeit etablieren können, die das vereinbar machen. Früher wurden die Zeitungen auch hauptsächlich von Geschäftsinteressen finanziert, natürlich auch über Kleinanzeigen, aber eben auch durch Werbung. Und mit der Zeit entwickelten sich Institutionen, die die Unabhängigkeit der Redaktionen gesichert haben. Vielleicht finden wir so etwas im Content Marketing auch.

Petra Sorge: 2010 hat Matthias Döpfner einen interessanten Satz gesagt, als das iPad auf den Markt kam: „Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs danken, dass er die Verlagsbranche rettet.“ Herr Schrader, haben Sie heute schon gebetet?

Matthias Schrader: Es ist ja lustig, wenn man das Zitat noch einmal hört. Dieser Brezel um das iPad ist ja quasi ein Walled-Garden. Das ist das alte Denken, da gibt es wieder einen geschützten Bereich, und da kann ich Regalfläche in meinem Kiosk besetzen, wenn ich eine tolle Marketing-Kooperation mit Apple habe. Das hat so einfach nicht funktioniert. Insofern bleibt es am Ende des Tages schwierig. Ich glaube, wir haben noch alle keine Antwort darauf, haben wir es jetzt mit einem Kiosk oder was auch immer zu tun. Was bleibt: Man muss weiter experimentieren.

Petra Sorge: Schade, keine Antwort heute, aber ich hoffe, es war trotzdem interessant. Vielen Dank.