Erkundungen in der neuen Welt des Journalismus
Beispiel 1: Die Publisher-Plattform
Michael Paustian, Creative Director upday, Head of Strategic Product Development, Axel Springer
Anmoderation Ingrid Scheithauer:
Wir schauen uns jetzt um in dem neuen Informations-Ökosystem und haben drei herausragende Beispiele.
Den Auftakt macht Michael Paustian. Er kommt vom Axel Springer Verlag, der unter der Führung von Matthias Döpfner sich früh und sehr konsequent auf die Digitalisierung eingelassen hat. 2015 kamen rund 2/3 des 3,3 Milliarden Euro Umsatzes aus digitalen Aktivitäten.
Michael Paustian ist für die Strategische Produkt-Entwicklung verantwortlich, und die spielt sich im Digitalen ab. Er ist zudem Creative Director von upday, dem jüngsten Baby der Springer-Familie, mit dem die allergrößten Erwartungen verbunden sind. Es ist eine Publisher-Plattform und man darf vermuten, dass es auch der Versuch ist, sich aus den Fängen der kalifornischen Tech-Companies ein Stück weit wieder zu befreien – mit Hilfe eines anderen Giganten. Zu dieser gerade gestarteten „Publisher Plattform upday“ jetzt Michael Paustian.
Michael Paustian:
Für uns ist es ein besonderer Tag, heute startet upday. Es ist das erste Produkt der strategischen Partnerschaft zwischen Samsung auf der einen Seite und Axel Springer auf der anderen Seite. Im September begann die Beta-Phase, heute gibt es diese wunderschönen Devices. Für alle, die ein Apple iPhone haben, kaufen Sie dieses Samsung-Gerät! In allen Rezensionen wird es deutlich besser bewertet als alles, was Apple baut. Und auf diesem wunderschönen Device ist upday tief integriert – und wie gesagt, heute ist unser Launch-Tag, ab heute sind diese Geräte verfügbar.
upday ist eine exklusive Partnerschaft von Axel Springer mit Samsung, man kann diesen Service nur auf Samsung-Geräten erhalten oder auch downloaden. Es ist tief integriert in die Samsung Flagship Devices. Wenn Sie ein neues Samsung Device kaufen, sind wir auf der Seite Minus 1, d. h. Sie starten und mit einem kleinen Swipe nach links kommen Sie direkt in den upday-Newsservice hinein. Seit dem 3. September 2015 lief eine Beta-Phase in Deutschland, wir hatten rund 50.000 Beta-Tester, wir haben viel ausprobiert und viel gelernt – mit relativ großem Erfolg. Und seit dem 10. März 2016 sind wir in Deutschland, UK, Frankreich und Polen am Markt. Und gleich zu Beginn haben wir insgesamt mehr als 1.200 Quellen in unser Angebot integriert, um unseren Kunden ein sehr umfassendes, sehr weitreichendes Angebot zu machen. Bei 1.200 Quellen finden Sie neben den großen Medienmarken auch die relevanten Blogs.
In unser Projekt upday ist auf vielen Ebenen eingeflossen, was wir gelernt haben aus unseren Erfahrungen. Ich war vorher Leiter der strategischen Produktentwicklung bei Springer – das ist so ein Titel, wie er nur der Poesie eines Großkonzerns entspringen kann –, davor war ich acht Jahre lang stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung und dort verantwortlich für alle digitalen Produkte. Und wenn man die Chance hat, ein Projekt wie upday neu aufzubauen, dann macht man sich sehr viele Gedanken darüber, insbesondere, wenn man einen potenten Partner wie Samsung und damit sehr viele Möglichkeiten hat, etwas neu zu entwickeln. Am Ende sind wir überraschenderweise zu ganz vielen journalistischen Fragen gekommen, die wir versucht haben, auch journalistisch zu beantworten. Das Besondere ist, upday ist extrem einfach zu nutzen. Manche behaupten, es sei so etwas wie Tinder for News. Wir haben pro Karte eine Geschichte, man kann sich einfach durch das Angebot swipen.
Wir verbinden Mann und Maschine – tatsächlich tut das niemand sonst, auch Apple News bisher nicht. Wir haben zwei Bereiche. Einer ist – wie wir es intern nennen – der Need-to-know-Bereich, die sogenannten Top-News. Das heißt: wir haben in jedem Land, in dem wir aktiv sind, eine eigene Redaktion, die 24 Stunden sieben Tage die Woche die relevanten Nachrichten aussucht. Das ist klassischer Journalismus; es ist ein Informationsangebot, von dem wir glauben, dass es jeder von uns braucht, um up-to-date zu sein, vielleicht auch, um ein soziales Wesen sein zu können und um, wenn es auch nur in der Kaffeeküche ist, mitreden zu können, was in der Welt passiert. Und der zweite Bereich ist der sogenannte Want-to-know-Bereich, der basiert auf Algorithmen, ist also eine Maschine. Der Want-to-know-Bereich folgt entlang Ihrer Präferenzen und Ihrer Interessen auch journalistischen Prinzipien und versorgt Sie laufend mit neuen Inhalten. Wir nutzen sehr stark das Editorial Know-how, dazu komme ich gleich.
Und schließlich: wir sind eine Publisher Plattform. Das unterscheidet uns ganz wesentlich von Instant Article oder Apple News. Wir verlinken jeden Artikel direkt auf den Publisher, d. h. wir nehmen den Content nicht, wir vermarkten ihn nicht selbst, sondern wir verlinken auf den Content nach draußen. Konkret bedeutet das, dass jede Ad Impression, jede Page Impression, und auch der Nutzer und die Nutzungsdaten weiterhin dem Publisher gehören. Wir wollen niemandem etwas wegnehmen, sondern wir stellen – das ist ein wichtiger Aspekt – allen, die mit uns zusammenarbeiten, deutlich mehr Informationen und deutlich mehr Daten zur Verfügung, als dass die Kollegen von Apple oder Facebook tun.
Jedes Mal, wenn Sie in den Need-to-know, den Top News-Bereich reinschauen, bieten wir Ihnen sechs bis sieben Geschichten und damit einen kurzen Überblick, was ist jetzt gerade wichtig. Über den Tag verteilt sind es rund 20 bis 35 Geschichten, die must-read sind. Der Want-to-know-Bereich, die My-News, ist der personalisierte Stream. Dieser basiert auf 1.200 Quellen, das sind mehrere zehntausend Artikel pro Tag, die wir im Backend haben und auf Basis einer sehr dynamischen recommendation engine spielen wir Ihnen Content aus. Wir wählen Content aus, der hoffentlich für Sie interessant ist, an dem Sie Spaß haben, der Sie unterhält. Wir reden immer etwas schwermütig von News und denken dabei alle an große Nachrichtengeschichten, die Wahrheit ist jedoch, dass ein Großteil des Contents viel mit Ablenkung, mit Amüsement, mit Entertainment zu tun hat. Und vor allem diese Nutzungssituation wollen wir abbilden im sogenannten Want-to-know-Bereich.
Wenn wir die technische Grundlage von klassischen Aggregatoren betrachten, stellen wir fest, dass die relativ dumm sind. Bei Flipboard oder News Republic z. B. wird auf der Basis zwischen 60 und 200 Themen kategorisiert. Nehmen wir das Beispiel Bier, das mir sehr gut gefällt: Wenn Sie dort auf Bier tippen, dann fallen Sie in die Kategorie Food und bekommen mehr Food-Geschichten und das war es. Das ist nicht besonders schlau. Wir haben ein Backend gebaut, das auf 12,3 Millionen Themen basiert, das ist die Taxomonie von Wikipedia. Das bedeutet, wir lernen deutlich besser, welche Themen Sie mögen und können hoffentlich aufgrund dessen eine bessere recommendation machen, d. h., wir wissen nicht nur, ob Sie sich für Food, Getränke, Bier interessieren, wir wissen sogar, ob Sie Indian, Pale oder Ale mögen.
Da stellt sich Ihnen vermutlich gleich die Frage nach dem Datenschutz. Was wir haben, sind keine personalisierten Daten. Wenn Sie upday nutzen, nutzen Sie einen Service, bei dem Sie sich nicht einmal anmelden können. Es sind keine personenbezogenen Daten, wir werten Daten auf Basis der Geräte-ID aus. Mit anderen Worten: wir können das Angebot für den einzelnen Nutzer personalisieren, ohne personenbezogene Daten zu haben.
Worauf wir besonders stolz sind, ist unser Backend und wie wir die Algorithmen sozusagen spielen lassen. Der klassische Stream – und das trifft auf alle zu –, funktioniert relativ einfach. Auf der einen Seite hat man den Nutzer, auf der anderen Seite den Content und dann wird einfach zusammengefügt: Was passt zu diesem Nutzer aufgrund der Nutzung am besten, und dann erhält der Nutzer den erstbesten, den zweitbesten und den drittbesten Artikel. Wir haben das komplett anders gedacht, dabei spielen der Begriff Blattmachen und unsere Tradition als Zeitungshaus eine zentrale Rolle. Wir versuchen mit unseren Algorithmen auch Blatt zu machen. Das ist der Grund, warum wir nicht nur einen Algorithmus nutzen, sondern 24 Algorithmen. Wir wissen aus unserer journalistischen Erfahrung des Blattmachens und auch aufgrund der Daten, die wir als journalistische Häuser haben, dass es bestimmte Prinzipien gibt, die dazu führen, dass das Produkt besser genutzt wird und dafür sorgen, dass man nicht in der Filter Bubble landet. Das heißt, bei uns sind diese 24 Algorithmen, die sich an den Nutzer anpassen und die nach und nach verschiedene Themen anbieten. Das kann mal Special Interest sein, das kann mal Funny sein, das kann Human Touch sein, das können aber auch neue Themen sein. Wir haben sehr klare Logiken dahinter, die immer wieder neue Themen bieten, je nachdem, was in der Welt passiert. Die klassische recommendation engine kann nicht wissen, dass ich mich für die Flüchtlingskrise interessiere, die es im vergangenen Jahr noch nicht gab, wir aber machen diese Themen unseren Nutzern zugänglich.
Wir glauben aufgrund unserer Erfahrung als Zeitungsmacher, dass diese Sinfonie besser funktioniert. Die Bild-Zeitung z. B. ist in einer kompositorischen Art und Weise aufgebaut. Wir wissen einfach – auch aufgrund der Daten: Wenn etwas Schreckliches passiert wie ein Flugzeugabsturz, ist es sinnvoll, daneben ein witziges Servicethema, also etwas zum Lachen, zu setzen. Das möchte der Leser, das hilft. Und wir setzen diese Logiken bei upday auf der Maschinenbasis ein, wir versuchen journalistische Prinzipien für diese Algorithmen anzuwenden. Ich bin nicht sicher, ob der Begriff Ethik an dieser Stelle schon richtig ist, aber tatsächlich versuchen wir auch mit den Algorithmen in gewisser Weise Blatt zu machen.
Für alle, die selbst Content-Produzenten sind: Sie sind herzlich eingeladen, auf unserer Plattform mitzumachen. Wir freuen uns über jeden, der an Board ist. Für alle anderen, gehen Sie in ein Geschäft und kaufen Sie sich ein Samsung-Phone und genießen Sie upday.