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Fragile Verträglichkeit
Facebook, Google & Co. fördern und kolonisieren den Journalismus
von Volker Lilienthal, Uinversität Hamburg

Keynote zum lpr-forum-medienzukunft „Rettet Silicon Valley den Journalismus?”, Frankfurt a.M., 10. März 2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung und damit die Gelegenheit, zu einem sehr aktuellen und für die Informationsökologie unserer freien Gesellschaft so wichtigen Thema zu sprechen: „Rettet Silicon Valley den Journalismus?” – und wenn vielleicht, wie könnte eine faire transnationale Kommunikation zwischen den kalifornischen Hightechs und den europäischen Traditionsmedien aussehen?

Das Timing für dieses lpr-forum-medienzukunft passt perfekt. Denn das, meine Damen und Herren, sind die Breaking News dieser Tage:

Paris, 24. Februar: An der Pariser Universität SciencePo, School of Journalism, tritt Sundar Pichai, CEO von Google, fast wie ein digital-medialer Messias auf, musikalisch begleitet von einem rockigen Tusch, und erläutert, warum Google ein hilfreicher Partner von Medien und Journalismus sei. Und der aus Indien stammende Amerikaner nennt erstmals europäische Medien, die im Rahmen der „Digital News Initiative“ des Suchmaschinengiganten gefördert werden.

Pichai schlägt in Paris den hohen Ton der digitalen Philantrophie an, spricht von der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Medienindustrie und des „high-quality journalism“ und ruft dazu auf, gemeinsam mit Google ein „rich and sustainable knowledge ecosystem“ aufzubauen, also ein Ökosystem für die Verbreitung von Wissen, das reichhaltig und nachhaltig zugleich ist, und das Ganze mit dem Ziel „to make life better für everyone“.

Wer wollte bei so etwas nicht dabei sein? Und es ist ja wahr: Google hilft uns, in Bruchteilen von Sekunden wunderbare Informationen zu finden. Nur ist der Knackpunkt, dass immer auch Ungeprüftes, ja Unwahres dabei ist, Kommerz, Propaganda und Verschwörungstheorie. Es kann auch nicht anders sein: Google soll nicht für uns selektieren, Missliebiges zensieren. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass das von der Suchmaschine destillierte „Wissen“ eben nie ein lupenreines und zweifelfreies ist.

Nächste Szene:
Berlin, 25. Februar: Facebook-Chef Mark Zuckerberg kommt in die deutsche Hauptstadt, joggt durchs Brandenburger Tor und holt sich abends bei Axel Springer einen neugeschaffenen Award ab. „Bild“ titelte: „Zuckerberg wickelt alle ein!“ Ich weiß nicht, ob diese süffisante, dezent kritische und wahrscheinlich zutreffende „Bild“-Schlagzeile mit der Konzernkommunikation abgesprochen war.

Das war Donnerstag vorletzter Woche. Am darauffolgenden Freitag, 26. Februar stellte sich Zuckerberg in einem „Townhall Q&A“ in Berlin-Treptow den Fragen eines ausgesuchten Publikums – mehrheitlich junge Deutsche, die der Erfolg von Facebook und wohl auch der 31-jährige US-Milliardär Zuckerberg fasziniert, von dem sie lernen wollen.

Zwischendurch gab Zuckerberg Springer-Chef Mathias Döpfner, bekanntlich gelernter Journalist und gewiss nicht der schlechteste, ein großes Interview, das am 28. Februar in der „Welt am Sonntag“ erschien.

Charmeoffensive mit politischem Hintergrund

Bei diesen beiden dicht aufeinander folgenden Auftritten der beiden Tech-Größen aus Kalifornien handelte es sich wohl zeitlich um eine zufällige Koinzidenz. Die geballte Charmeoffensive, die momentan in und für Europa inszeniert wird, ist aber ganz bestimmt nicht zufällig. Sie ist eine Reaktion auf Jahre der skeptischen Beobachtung von Google, Facebook und anderer Internet-Techs durch die EU-Kommission und viele andere europäische Regulierer, von Kartellbehörden über Datenschützer bis hin zu Landesmedienanstalten. Und sie ist ein Angebot zur friedlichen Koexistenz, die die Webmultis an die hiesigen Marktpartner bei den traditionellen Medien aussenden, eine Konsequenz aus vielen Auseinandersetzungen um faire Wettbewerbsbedingungen, Respekt vor Urheberrechten, Verteilung von Werbeerlösen, Nutzung und Schutz von Kundendaten und vieles mehr, was oft genug streitig diskutiert und häufig auch vor Gericht ausgetragen wurde.

„Wir haben Angst vor Google. Ich muss das einmal so klar und ehrlich sagen, denn es traut sich kaum einer meiner Kollegen, dies öffentlich zu tun. Und als Größter unter den Kleinen müssen wir vielleicht auch in dieser Debatte als Erste Klartext reden.“

Diese mutigen Worte stammen von Mathias Döpfner. April 2014 war das, ein offener Brief in der FAZ an den damaligen Google-CEO Eric Schmidt.

Und nun soll alles anders, besser werden? Nicht nur eine friedliche Koexistenz, sondern ein Austauschverhältnis zum beidseitigen Vorteil? Eine neue faire Ökonomie und Ökologie transnationaler, genauer gesagt: transatlantischer Kommunikation und Kooperation?

Döpfner ist von seiner Google-Skepsis bislang nicht abgerückt. Aber er scheint zu glauben, dass Facebook fairer mit den deutschen Verlegern, den Publishern, umgeht. Zur Begründung des Axel Springer Awards für Zuckerberg sagte Döpfner:

„Wir zeichnen Mark Zuckerberg aus, weil er mit Facebook das wichtigste Kommunikationsmittel einer neuen Generation geschaffen hat. (…) Jeder kann sich jederzeit vor breitem Publikum über alles äußern. Doch wie geht man mit dieser Macht verantwortungsvoll um? Mark Zuckerberg setzt sich mit dieser Frage intensiv auseinander. Für die Medienwirtschaft ist Facebook ein wichtiger Vertriebskanal geworden. Dabei hat das Unternehmen neue Möglichkeiten entwickelt, wie man mit Kreativen und ihren Verlegern fair umgeht. Unser Preis soll Zuckerberg ermuntern, diesen Weg allen Widerständen zum Trotz weiter zu beschreiten.“

Wahrgenommene Verantwortung also und fairer Umgang miteinander. Was sich in nur zwei Jahren nicht alles zum Besseren wenden kann. Vielleicht sollte Döpfner noch mal seinen Offenen Brief von 2014 zur Hand nehmen, da schrieb er konträr zum heutigen Optimismus:

„Noch beunruhigender ist nur der Satz von Mark Zuckerberg (…). Jemand fragte, wie es Facebook mit der Speicherung von Daten und dem Schutz der Privatsphäre halte. Und Zuckerberg sagte: ,Ich verstehe Ihre Frage nicht. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.‘“

Döpfner dazu: „Immer wieder musste ich über diesen Satz nachdenken. Ich finde ihn schrecklich. Ich weiß, es ist sicher nicht so gemeint. Aber dahinter stehen eine Geisteshaltung und ein Menschenbild, das in totalitären Regimen, nicht aber in freiheitlichen Gesellschaften gepflegt wird. Einen solchen Satz könnte auch der Chef der Stasi oder eines anderen Geheimdienstes einer Diktatur sagen. Das Wesen der Freiheit ist doch gerade, dass ich nicht verpflichtet bin, all das preiszugeben, was ich tue, dass ich das Recht auf Diskretion und, ja, sogar Geheimnisse habe, dass ich selbst bestimmen kann, was ich von mir preisgebe.“

Ob bei Zuckerberg inzwischen ein Umdenken eingesetzt hat? Wir können nicht in sein Innerstes blicken. Aber es lohnt sich, auf seine Worte zu achten – zum Beispiel auf die, die er beim Q&A-Townhall-Meeting in Berlin von sich gab. Da konnte er beim jungen Publikum punkten, mit einer Verbeugung vor der deutschen Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen und mit Klarstellungen wie dieser: „Hate speech has no place on Facebook“.

Bekanntlich will Facebook in Berlin eine 200 Mitarbeiter umfassende Taskforce einsetzen, die Hassrede auf Facebook lokalisieren, löschen und die Urheber identifizieren soll – dabei der deutschen Polizei zuarbeitend, wie Zuckerberg ausdrücklich sagte.

Und dann wurde er auch nach dem Schutz der Privatsphäre gefragt und ob das, was die inzwischen 28 Millionen Deutschen, die Mitglieder von Facebook sind, dort mit ihren Freunden teilen, denn sicher sei. Und natürlich zeigte sich der clevere Zuckerberg da problembewusst. Denn die Menschen würden nicht ihre persönlichsten Momente auf Facebook teilen, wenn sie fürchten müssten, dass die Inhalte in die Hände von, jetzt kommt’s, „the wrong governments“ oder von Hackern kämen. Privacy sicherzustellen – „that’s our job“.

Wohlgemerkt, er sagte nicht: „governments“, er sagte „wrong governments“. In dieser Logik kann man auch sagen, siehe oben: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ Für Zuckerberg gibt es offenbar auch richtige Regierungen, denen und deren Geheimdienste man ruhig etwas aushändigen darf. Der Vorstandsvorsitzende von Facebook zeigt sich hier von der NSA-Affäre arg unbeeindruckt – ganz so, als hätte er nie davon gehört. Noch weniger von einem „Safe Harbor“-Urteil des EuGH, wonach die amerikanischen Webprovider eben keine sicheren Häfen sind, die die Daten europäischer Bürger hinreichend vor unbefugten Zugriff schützen.

Die Journalismus-Programme von Facebook

Kommen wir zu dem, was Facebook aktuell dem Journalismus und seinen Medienorganisationen anbietet. Zu erwähnen ist der „FB Newswire“, ein Service, der Facebook-Inhalte, die Mitglieder auf dem sozialen Netzwerk gepostet haben, nach mutmaßlicher Relevanz für Journalisten aufbereitet (epd 19/2014). Für den Rechercheur, der Social Media auch als Indikator für Meinungs- und Themenkonjunkturen nutzt, ist das ein verlockendes Angebot – aber eben auch eine fremdbestimmte Auswahl, über deren Zustandekommen wir so gut wie nichts wissen.

Mehr noch müssen wir hier auf die Instant Articles zu sprechen kommen, ein im Mai 2015 eingeführtes Angebot für Medienorganisationen, das im Kern Folgendes beinhaltet: Die Medien, die mitmachen, können ausgewählte Artikel direkt bei Facebook hosten – mit der Folge, dass die Artikel insbesondere mobil auf Smartphones zehnmal schneller geladen werden als sonst. Warte-Frust beim ungeduldigen Leser wird also vermieden. Verbunden sind die Instant Articles mit einem Einnahmeversprechen: Erlöse aus Werbung im Umfeld der Articles, die die Medien selbst verkaufen, verbleiben zu 100 Prozent bei ihnen selbst. Gewinnt Facebook einen Werbungtreibenden für das mediengenerierte Umfeld, so behalten die Amerikaner 30 Prozent der Einnahmen für sich. Drittes Element im Angebot aus dem Silicon Valley: Ein Mehr an Daten über das Nutzungsverhalten der Leser wurde versprochen.

Das hört sich erst mal fair an und womöglich bewog diese Gesamtgestaltung Springer-Chef Döpfner zu seiner zitierten neuen Bewertung von Facebook. „Bild“ war denn auch von Anfang an dabei, ebenso wie „Spiegel Online“ und „tagesschau.de“. Die Instant Articles begegneten aber von Anfang an auch mannigfaltigen Bedenken, weswegen z.B. SPON betonte, man betrachte die Mitwirkung zunächst nur als Experiment. Befürchtet wurde u.a., dass die neuen „Sofort“-Artikel von Lesern als Leistung von Facebook wahrgenommen werden – und weniger als eine des journalistischen Mediums. Eine Erosion der Leserbindung liege nicht im Interesse der Verlage, Redaktionen sollten nicht zu verlängerten Werkbänken von Facebook werden, so sinngemäß die Argumentation von Mathias Müller von Blumencron, Digitalchef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) (epd 25/2015). Die FAZ beteiligt sich denn auch bis heute nicht an Instant Articles.

Noch hat kein deutsches Medium über seine Erfahrungen berichtet, jedenfalls nicht öffentlich. US-amerikanische Medien, die sich seit Start beteiligen, berichten von deutlich gestiegenen Nutzungszahlen – also von einem Erfolg –, aber auch davon, dass die Monetarisierung und die Auswertung der „audience metrics“ noch „in progress“ sei – was wir wohl als entwicklungsbedürftig verstehen müssen.

Für die allermeisten jungen Menschen in Deutschland ist Facebook längst die wichtigste Informationsquelle. Der Druck, der von der massenhaften Nutzung des Netzwerks ausgeht, kann von Medien schlechterdings nicht ignoriert werden. Es genügt offenbar nicht mehr, auf Facebook mit eigenen kleinen Kolonien unter Selbstverwaltung vertreten zu sein, deren Leseangebote in Form von Links zeitraubend zurückführen auf die klassischen Websites der Medien. „Instant Articles“ bedeutet: Journalismus wird integraler Bestandteil von Facebook. Die Plattform vor allem profitiert von der honorarfreien Zulieferung anderer, der Medien, weil es damit seine Reichweite steigern kann.

Dass Facebook sprichwörtlich alternativlos ist, zeigt das Beispiel von Bento, des jungen Ablegers von Spiegel Online. Bento ist eine Website und natürlich auch eine App fürs Smartphone. Aber seit dem 23. Februar publiziert Bento eben alles, was die kleine junge Redaktion hervorbringt, auch als Instant Article bei Facebook. Keine Rede mehr von einer kleinen Auswahl, mit der man experimentieren wolle.

Die Medien, die von Anfang an mitmachten, konnten sich einbilden, als erlauchte Schar für etwas Neues, Großes ausgewählt worden zu sein. Mit diesem Privileg ist es nun aber vorbei. Ab dem 12. April werden alle Medienorganisation „instant“ bei Facebook publizieren können. Das wird eine Welle in Gang setzen, der sich kaum noch jemand, auch die Skeptiker nicht, wird entziehen können. Und wenn, dann nur um den Preis, künftig übersehen zu werden, unaufholbar zurückzufallen im Kampf um Aufmerksamkeit.

„Media organizations and journalists are an integral part of Facebook“, verkündete das Unternehmen zur anstehenden Öffnung. Was so respektvoll wie eine Verbeugung vor der Leistung anderer klingt, ist aber auch eine Übernahmeerklärung, ein Statement zur zunehmenden Kolonisierung der Medien und des Journalismus.

In einer Podiumsveranstaltung der „Neuen Zürcher Zeitung“ am 30. September vergangenen Jahres in Berlin wetterte der Philosoph Peter Sloterdijk gegen das Silicon Valley als eine „zivile Außenstelle des Pentagon“ und führte aus:

„Die Vorherrschaft der amerikanischen Datentechnologie verkörpert mehr als bloß eine Nebenfront im amerikanischen Krieg gegen den Rest der Welt: Sie bildet die Schlüsseltechnologie, bei welcher ,hard power‘ und ,soft power‘ direkt ineinander übergehen.“

Das ist eine Fundamentalkritik der neuen digitalen Multis, die im internationalen Kontext auch von Denkern wie Shoshana Zuboff, Jaron Lanier und David Gelernter artikuliert wird. Die Kritik am digitalen Kolonialismus und Kapitalismus ist eben keine europäische oder gar nur deutsche Spezialität, die sich aus Kulturpessimismus speiste. Auch bei der internationalen Journalismusforschung finden sich genügend Warner: deutlich kritisch zum Beispiel Emily Bell, die Direktorin des Tow Centers for Digital Journalism an der Columbia Journalism School in New York, und auch Jeff Jarvis von der New Yorker City University, er jedoch deutlich Facebook-freundlicher – er plädiert für „Peace Talks“.

Emily Bell hingegen nutzte in der „Columbia Journalism Review“ das Kofferwort „frenemy“ für Google und Facebook – „frenemy“, ein Hybrid also, vielleicht auch ein Monster aus Freund und Feind. Bell hat aus ihren vielfachen Gesprächen mit Publishern berichtet, dass alle eine „mildly surpressed panic“ hinsichtlich der neuen Machtverhältnisse verbinde: Den Publishern gehören nicht mehr die global meistgenutzten Wege zu den Rezipienten, und sie kontrollieren sie auch nicht. Hohe Abhängigkeit, kleine Gewinne und „little insight“ bei den Nutzungsdaten sind die Folge.

Beide, Bell und Jarvis, sind der Auffassung, dass Facebook für den Journalismus mitverantwortlich ist – und zwar einfach deshalb, weil das weitreichende soziale Netzwerk eine solch starke Rolle in der gesellschaftliche Informationsverteilung und Nachrichtengebung einnimmt. Sie warnen aber davor, Facebook auch für die internen journalistischen Verfahren verantwortlich zu machen, seriöse Nachrichtengebung und akkurate Recherche zu gewährleisten. Denn das würde bedeuten, Facebook ins Innerste des Journalismus vorzulassen – um den Preis des weiteren Verlusts von Autonomie. Oder, andere Alternative: Facebook könnte sich durch die Zuordnung neuer Verantwortlichkeit eingeladen sehen, eigene Redaktionen zu gründen – die dann den Wettbewerb mit den traditionellen Medienorganisationen aufnehmen würden.

Die Journalismus-Initiativen von Google

Wie steht es nun um Google? Auch vom marktbeherrschenden Suchmaschinenkonzern, zu dem neben anderem auch Youtube gehört, haben wir zuletzt eine geballte Charmeoffensive erlebt – wir, das heißt: die Europäer. Und nur die, nicht etwa Amerikaner oder gar Afrikaner. Diese geopolitische Bevorzugung kann man ebenfalls nur aus der in Europa stark verbreiteten Skepsis sowie aus der Beobachtung von Google durch Regulierer wie die EU-Kommission verstehen. Google will zeigen: Wir sind doch gut und sogar großzügig.

Vorrangig ist hier die „Digital News Initiative“ (DNI) zu nennen, ein auf beeindruckende 150 Millionen Euro ausgelegtes Förderprogramm für Projekte des Digitalen Journalismus. Googles CEO Sundar Pichai hat jüngst in Paris die erste Tranche – 27 Mio. Euro an Projekte in 23 Ländern – verkündet. Noch sind nicht alle Geförderten bekannt. Aus Deutschland, wohin fast 4,9 Mio. Euro fließen werden, ist das Start-up Spectrm – ohne „u“ – dabei. Auf Basis Künstlicher Intelligenz soll es hier Publishern ermöglicht werden, direkter mit ihren Lesern zu kommunizieren und Inhalte zu verteilen, und zwar auf Basis von Instant Messaging Apps. Einen technischen Akzent setzt auch das Projekt „Sensorjournalismus“ des Hamburger Journalistenbüros OpenDataCity. Weitere deutsche Medien, die Geld aus dem Silicon Valley bekommen, sind der „Tagesspiegel“, die „Rhein-Zeitung“, die „Wirtschaftswoche“ und die Deutsche Welle.

Die Verbesserung der Kundenbeziehungen spielt in vielen der ausgewählten Projekte eine Rolle. Man fragt sich: Liegt der Schwerpunkt des Geförderten nun bei Technik und Ökonomie? Wo bleibt der originäre Journalismus? Von der Schweizer „Tageswoche“ wurde immerhin das Projekt „Stadtgespräch“ ausgewählt, bei dem die Themen-Interessen von Bürgern, digital artikuliert, in die journalistische Themenwahl einfließen soll.

Unten auf der Website www.digitalnewsinitiative.com/ gibt es die Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen. Bis gestern waren es derer nur zwei. Ein gewisser Xocu vermisst einen Bescheid von Google – ist sein Antrag überhaupt angekommen?

Ein Anonymus übt scharfe Kritik an der für ihn nur theoretisch noblen Fördermaßnahme DNI. Die 1,4 Mio. Euro, die nach Polen flössen, kämen vor allem drei Medien zugute, die kaum als Nachrichtenquelle gelten könnten, sondern politisch agitieren, so die Unterstellung. Die drei – eine Tageszeitung, ein Radiosender und ein Webmedium – hätten es vor allem darauf angelegt, Menschen auf Demonstrationen gegen die umstrittene polnische Regierung der PIS-Partei zu treiben. Die Wortmeldung zeigt, dass ein Mäzen wie Google mitten hinein in politische Auseinandersetzungen geraten kann. Und was würde Mark Zuckerberg sagen? „Wrong government“?

Wie Facebook sorgt sich auch Google um den schnelleren Seitenaufbau in Zeiten, in denen immer mehr Content auf mobilen Endgeräten rezipiert wird. AMP, Accelerated Mobile Pages, ist hier das Stichwort. Eine dritte Unterstützungsleistung von Google ist das „Project Shield“, eine Schutzmaßnahme gegen DDoS-, gegen Distributed Denial of Service-Attacken, mit denen Hacker oder Zensoren anderer Staaten eine Medien-Website lahmlegen können. Sundar Pichai stellte das in Paris in direkten Zusammenhang mit kritischer Berichterstattung, die anderen nicht gefalle – und für weniger als 100 Euro sei es möglich, eine solche Attacke auszulösen. Dagegen helfe „Project Shield“, welches „all the world’s independent news agencies“ angeboten werde – wobei der Google-CEO das Eigenschaftswort „independent“ beim Aussprechen merkwürdig verschluckte. Aber das wollen wir mal nicht auf die Goldwaage legen.

Etwas im Windschatten der DNI segelt das Google News Lab (https://newslab.withgoogle.com/) – obwohl es doch im Grunde Teil der DNI ist. Was wird hier angeboten? Eine Sammlung von Tools, ein digitaler Werkzeugkasten, den nicht nur Medienorganisationen auf der Makro-, sondern auch freie Journalisten und Blogger auf der Mikroebene nutzen können, und zwar in den Bereichen: Recherchieren, Berichten, Veröffentlichen, Optimieren. Zur Einführung gibt es Online-Tutorials. Die Nutzung von Google Trends für Datenvisualisierung ist ein weiteres Thema, jeweils hinterlegt mit interessanten Beispielen. Storytelling, Virtual Reality und TV-Aufnahmen mittels Drohnen – solche technischen Optionen für journalistische Sinneserweiterungen interessieren im News Lab vor allem.

Das Google News Lab bietet seinen Support aber nicht nur virtuell an, sondern kommt auch mit Trainern in Redaktionen, um z.B. die Fähigkeiten von Journalisten zur Suche mit Google zu verbessern. Laut Isa Sonnenfeld, der Leiterin des News Lab für den deutschsprachigen Raum, wird das Trainer-Netzwerk derzeit ausgebaut.

Medien haben keine andere Wahl

Die von Facebook, Google und anderen aufgelegten Programme zur Kooperation mit Medien und zur Förderung von Journalismus haben zweifelsohne ihr Gutes. Man sollte diese Offerten nicht um eines kritischen Prinzips willen ausschlagen.

Mag auch das Bundeskartellamt seit neuestem gegen Facebook wegen des Verdachts der Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung ermitteln – die Akzeptanz, die das soziale Netzwerk genießt, macht es Medien schlicht unmöglich, es zu ignorieren. Dies hat die turnusmäßige Untersuchung der Nachrichtenverbreitung in sozialen Netzwerken, die die Technischen Universitäten von Darmstadt und Dresden seit 2012 unternehmen, erneut bestätigt. Für das Jahr 2015 gingen mehr als 487.000 Artikel in die Untersuchung ein. Die Leser gaben diese Artikel mehr als 123 Millionen Mal weiter (2014: 83,0 Millionen Mal) – 116,7 Millionen Mal über Likes auf Facebook, 4,3 Millionen Mal über Tweets auf Twitter und 2,8 Millionen Mal über One ups auf Google+. „Marktbeherrschendes Medium für die Weitergabe von Nachrichten ist also weiterhin Facebook“, so die Informatiker und Medienökonomen aus Darmstadt und Dresden, „mit einem noch wachsenden Marktanteil von 94 Prozent (2014: 90,8 Prozent).“

Unter dem Druck der schieren Vormachtstellung auf dem Markt der webbasierten Kommunikation können Medien gar nicht anders, als zu versuchen, ihr Stückchen vom Kuchen der hier kollektiv organisierten Aufmerksamkeit für Nachrichteninhalte – und, nicht zu vergessen, Meinungen – abzubekommen.

Doch sollten wir alle die Probleme, die sich daraus ergeben können, nicht aus den Augen verlieren. Lassen Sie mich zum Schluss ein paar generelle Tendenzen zusammenfassen.

Debundling – Abschied von Komposition und Integration

Nicht erst mit den „Instant Articles“, einer Art „Reader’s Digest“ des digitalen Zeitalters, hat die große Entbündelung von Medienprodukten eingesetzt. Das „Debundling“ hat erstens ökonomische Konsequenzen, weil nicht mehr konfektionierte Produkte mit einem höheren Preis und besser noch im Abonnement, früher waren das für Medien fest kalkulierbare Einnahmeposten, verkauft werden können, sondern zunehmend nur noch Einzelstücke – welche besonders gut nachgefragt werden, meldet uns dann Facebook mit seinem „Metrics“.

Das hat dann zweitens auch journalistische Konsequenzen, und zwar schon auf der Ebene der Aussagenproduktion: Formate, wie sie eine Zeitung mit ihren fest definierten Spalten und – anzeigenabhängig variierend – ihrer Seitenzahl darstellten, lösen sich auf. Es werden nicht mehr alle Spalten gefüllt, nicht mehr alle Ressorts bedient – jedenfalls nicht die, die nicht nachgefragt werden. Das klassische Blattmachen oder, moderner ausgedrückt mit Jakob Vicari, die publizistische Komposition eines Medienprodukts, das seine Abnehmer insgesamt und nicht nur interessenselektiv schlauer machen möchte –, diese aufklärungsverpflichtete Komposition wird obsolet. Ebenso die Integrationsfunktion von Journalismus: das ganze Bild zu bieten, nicht nur einen Ausschnitt – das wird immer schwerer möglich sein.

Das hat dann drittens Folgen für die Informationsökologie der Gesellschaft: Die blinden Flecken nehmen zu, die unterbelichteten Sektoren der Wirklichkeit, über die man nichts, nichts Verlässliches oder nichts Hinreichendes weiß, um sich ein Urteil bilden zu können.

Natürlich ist das eine hypothetische Extrapolation, die ich hier auf dünnem empirischen Eis anstelle. Prognosen sind immer riskant und eigentlich kein wissenschaftliches Geschäft. Dennoch denke ich, es gibt einige empirische Indizien, warum wir diese mögliche negative Entwicklung im Auge behalten sollten – um gegenzusteuern, damit eben nicht eintritt, was zu befürchten ist.

Gibt es ein Leben danach, ohne Facebook & Co.?

Der schon zitierte Jeff Jarvis sieht keine Alternative für Medien, als Brücken zu den neuen globalen Plattformen wie Facebook zu bauen – oder sie würden einer Marginalisierung in der öffentlichen Wahrnehmung unterliegen und zu abgelegenen Inseln werden. Ein schönes Bild, aber Jarvis weiß hoffentlich auch, dass in der Zukunft Zwang dadurch entstehen kann, dass der Landbesitzer und Brückenbetreiber Facebook plötzlich Brückenzoll verlangt – und die Medienorganisationen zu Bittstellern werden.

Was, wenn der verlangte Preis zu hoch ist? Die Medienorganisationen könnten sich von Facebook trennen. Aber können sie das wirklich? Das weltweit stärkste, meistgenutzte Social Network – 1,6 Milliarden Mitglieder – ist eben nur auf den ersten Blick eine neutrale, nicht diskriminierende Vertriebsplattform, sondern vor allem ein Verkehrsleitsystem, das seine Mitglieder vor allem nach deren – intransparent gemessenen – Vorlieben beliefert, ja mehr noch: ein System zur Steuerung von Verhalten, das im Alltag von bald zwei Milliarden Menschen weit mehr als nur Mediennutzungsgewohnheiten habitualisiert.

Dass die Medienunternehmen weltweit mit Facebook einen Faustischen Pakt eingegangen seien, dieser Vergleich wurde schon oft gezogen, übrigens gerade auch in den USA. Und der Vergleich trifft. Denn was passiert, wenn sich Facebook und Medien trennen – sei es wegen plötzlicher Preisforderungen, sei es wegen möglichen Streits über Zensur, über Löschungen, die Facebook – oder auch Apple! – eigenmächtig vornehmen, weil bestimmte Inhalte nicht opportun erscheinen (es wäre bekanntlich nicht das erste Mal!) oder einfach weil Facebook allmählich Reichweite verliert? Auch das ist ja nicht ausgeschlossen, auch digitale Reiche sind ja keine Gebilde mit Ewigkeitsgarantie, auch deren virtuelle Völker können irgendwann zu neuen, scheinbar attraktiveren Angeboten abwandern.

Wenn einer der drei genannten Trennungsgründe einträte, dann ist jedenfalls für die Medienunternehmen nichts mehr wie vorher. Sie würden ihre „Stunde Null“ erleben und von vorne neu anfangen müssen. Denn die Reichweiten, die die vielleicht noch existierenden autonomen Websites oder Apps von Medienorganisationen erreichen, werden in der Zwischenzeit, in der Ära Facebook, marginalisiert worden sein. Ähnliches wird wohl für die verbliebenen Kundenbeziehungen gelten.

Für verantwortungsvoll geführte Medienunternehmen kann das heute nur bedeuten, die bisherige Multi-Channel-Strategie eben nicht aufzugeben, so aufwändig und kostenträchtig sie auch sein mag: sich also nicht allein mit Facebook einzulassen, sondern autonome Vertriebskanäle und Kundenbeziehungen, seien die digital oder analog auf Papier, aufrechtzuerhalten.

Datenschutz: Leser dürfen nicht ausgeforscht werden

Das Problem des Datenschutzes habe ich schon angesprochen. Hier geht es um mehr als um die Naivität, die eine Regierung für gut und die andere für „wrong“ zu halten. Die NSA-Affäre hat uns einen Vorgeschmack auf das gegeben, was selbst in einem demokratischen Rechtsstaat wie den USA an Angriffen auf die Freiheit der eigenen Bürger und der anderer Staaten möglich ist. In Deutschland gilt das Fernmeldegeheimnis, doch Journalisten hier können am Telefon nicht mehr arglos mit ihren zu schützenden Informanten sprechen.

Ein möglicher neuer US-Präsident namens Donald Trump stimmt mich noch pessimistischer für die Zukunft. Schon hat Trump eine restriktive Gesetzgebung gegen Journalisten angekündigt – was alles steht uns noch ins Haus? Dass Eric Schmidt, der CEO der Google-Holding Alphabet, seit neuestem für das Pentagon arbeitet und dort ein Gremium für digitale Innovationen leitet, kann man auch nicht wirklich als vertrauensbildende Maßnahme werten.

Der gebotene Schutz sensibler Daten ist ein hohes Gut, auf das es keinen Rabatt gibt. Dieses Gut ist nicht verhandelbar, erst recht nicht im Verhältnis zu Facebook. Hier geht es nicht nur um geheime Text- oder Bild-Materialien, die verantwortungsvolle Journalisten schon lange nicht mehr auf US-Servern wie Dropbox oder Microsofts OneDrive speichern. Und doch musste ich gerade lesen, Spiegel Online verwalte seine Themenplanung immer noch in einem Google Doc – ein Unding, wie ich finde. Es geht auch um die Nutzungsdaten, die Verhaltensspuren, die Leser deutscher Medien in den USA, bei Google und Facebook, hinterlassen können. Von diesen Spuren kann man auf politische Überzeugungen schließen – und das geht Staaten, geht Geheimdienste gar nichts an.

Transparenz auch und gerade beim Algorithmus

Eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit den Tech-Multis aus dem Silicon Valley ist bis auf weiteres nicht vorstellbar. Die ideale Gleichberechtigung kann es aufgrund der absoluten Machtposition der Techs, resultierend aus ihrer fast totalen Akzeptanz, nicht geben. Ein zweites kommt hinzu: Was für Demokratien typisch ist, die Brechung und Milderung von Macht durch Verfahren, als da wären: Deliberation, Transparenz, checks and balances – das eben ist mit Mark Zuckerberg und Eric Schmidt nicht zu machen. Ich meine hier etwas sehr Konkretes und doch Sagenumwobenes: die Algorithmen der Suchmaschinen und Netzwerke. Staatsgeheimnisse sind eine Sache von vorgestern. Aber „in Digitalien“ gelten sie noch, die bestgehüteten Geschäftsgeheimnisse der Techs. Kaum einer traut sich noch, danach zu fragen und Transparenz einzufordern.

Weil Externen jeglicher Einblick in die Algorithmen verwehrt wird, ist es unmöglich, letztgültig zu beurteilen, ob Google, Facebook und all die anderen fair mit ihren Partnern umgehen – und fair mit der Öffentlichkeit freier Gesellschaften, die nicht den Wärmetod in Filter Bubbles erleiden wollen.

Legt den Algorithmus offen! Das ist eine utopische Forderung, auch wenn es ja Vorbilder gibt, wie es gehen könnte. Das ist der neuere Umgang mit den TTIP-Verträgen. Wenig genug, aber im Januar konnten immerhin Bundestagsabgeordnete die Verträge einsehen. So könnten auch die amerikanischen Techs in abgeschotteten Data Rooms wenigstens Berufenen, also zum Beispiel legitimierten Abgesandten der EU, Einblick gewähren. Nach Lage der Dinge könnten das aber nicht einfach Politiker sein. Sie müssten sich ihre Experten mitbringen, um die Funktionsweise des Algorithmus überhaupt zu verstehen.

Netzneutralität und Medienvielfalt wahren

Einige hier im Saal werden sich noch an Leo Kirch und seine erste d-box erinnern. Ein Decoder für Digitalfernsehen, der proprietär programmiert war: Andere Programmveranstalter sollten nur über Kirch Zugang erhalten. Kleiner Ausflug in die Mediengeschichte, aus dem ich das Stichwort „proprietär“ mitnehme. Frei übersetzt bedeutet es „im Eigentum befindlich“ und in seinem Bedeutungshof schwingen „Monopol“ und „Ausschluss“ mit. Proprietäre Geschäftspläne kamen aus München-Unterföhring, sie kommen heute aus dem Silicon Valley. Man höre nur, was Apple als Vorzug seiner neuen „News App“, hierzulande noch nicht verfügbar, beschreibt:

„News collects all the stories you want to read, from top news sources, based on topics you’re most interested in — so you no longer need to move from app to app to stay informed.“

„You no longer need to move from app to app“ – das eben soll vermieden werden, der User eingefangen werden in einem geschlossenen Universum, in einer exklusiven Verwertungskette, die nur einem Anbieter – hier: Apple – oder wenigen zugutekommt. Der moderne Gegenbegriff zum Proprietären ist die Netzneutralität, ein wichtiger Grundsatz auch der deutschen Medienregulierung.

Danach handeln übrigens auch die indischen Telekom-Aufsichtsbehörden, die Mark Zuckerberg jüngst eine herbe Niederlage beigebracht haben: Er wollte eine Milliarde Menschen auf dem Indischen Subkontinent, die noch nicht online sind – nur 300 Millionen sind es – mit einem kostenlosen „Free Basics“ beglücken – einer rudimentären Version von Netzvielfalt, die fast nur Facebook enthalten hätte. Die Aufsichtsbehörde TRAI untersagte das.

Ein empfindlicher Rückschlag für Zuckerberg, von dem wir vermuten dürfen, dass er im Interesse des eigenen Wachstums zwei Zahlen fest im Blick hat: Ende 2015 waren 3,2 Milliarden Menschen online – eine gigantische Zahl. Aber verglichen mit der Weltbevölkerung zeigt sie eben auch an: 4,1 Milliarden sind noch nicht an das Internet angeschlossen.

Prof. Dr. Volker Lilienthal ist Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg und Mitautor von „Digitaler Journalismus. Dynamik – Teilhabe – Technik“ (Vistas: Leipzig 2014).
Kontakt: volker.lilienthal@wiso.uni-hamburg.de