Auftakt
Rettet Silicon Valley den Journalismus?
Von Joachim Becker Direktor der LPR Hessen
Ein Geldsegen von knapp fünf Millionen Euro geht auf deutsche Medien und start-ups nieder. Geld für Forschung und Entwicklung in Sachen digitaler Journalismus. Das ist doch was; das gab es noch nie: Vor gut zwei Wochen hat Google-Chef Sundar Pichai das Füllhorn des Konzerns ein wenig geöffnet; rund 27 Millionen Euro, also knapp ein Fünftel des 150 Millionen-Euro-Topfes, werden an 128 Projekte in 23 europäische Länder vergeben.
Facebook bietet Medienhäusern die Möglichkeit, ihre Inhalte als „Instant Articles“ in dem Online-Netzwerk mit seinen rund 1,6 Milliarden Nutzern zu veröffentlichen . Ab April soll jeder Inhalteanbieter diese Möglichkeit nutzen können. Die Plattform bietet technisches Know-how – 10 Mal schnellere Ladezeiten – und mehr Reichweite, Chancen auch auf ein jüngeres Publikum, mehr Einnahmen.
Also: Rettet Silicon Valley den Journalismus?
Meine Damen und Herren, seien Sie herzlich willkommen zum diesjährigen lpr-forum-medienzukunft hier im Westhafenpier. Ich freue mich, dass Sie gekommen sind. Wir wollen mit der siebten Ausgabe unserer Veranstaltungsreihe die neuen Kooperationen zwischen den Internet-Riesen und den Traditionsunternehmen beleuchten. Wir wollen diskutieren, wie diese neuen Verbreitungswege den Journalismus verändern und welche Abhängigkeiten entstehen (können). Wir wollen darüber reden, wie die Logik des einen Systems, der Internet-Technologie, die Logik des anderen Systems, des Journalismus, beeinflusst. Wir wollen besprechen, wie die Logik des Netzes eine neue Ökonomie für Journalismus und Marketing schafft.
Wir knüpfen damit an das Thema des Vorjahres an. 2015 haben wir uns mit den Veränderungen im medialen Öko-System befasst. Mit den neuen Rollen des Publikums und der Journalisten. Mit neuen Organisationsformen und der Transformation etablierter Organisationen. Es war eine Momentaufnahme einer Entwicklung, die sich seitdem rasant beschleunigt hat. Die Konvergenz hat die nächste Stufe erreicht. Die Tech-Companies haben die Traditionsmedien entdeckt, oder besser gesagt: deren Inhalte. Damit war uns schnell klar, wir müssen die Thematik vertiefen.
Es ging Schlag auf Schlag:
o Im Januar 2015 macht Snapchat den Anfang: Der Instant Messaging Dienst startet ein Informationsangebot namens Discover.
o April 2015: Google kündigt seine Digital News Initiative an. Ein 150 Millionen Euro-Programm für Medienhäuser in Europa zur Weiterentwicklung des digitalen Journalismus.
o Mai 2015: Facebook startet Instant Articles. „Ein Programm für Verlage, um schnelle und interaktive Artikel auf Facebook zu kreieren.“
o Juni 2015: Das Google News Lab nimmt seine Arbeit auf.
o Juni 2015: Apple kündigt Apple News an und stellt Redakteure ein.
o Oktober 2015: Twitter startet mit Moments einen Nachrichtenüberblick, eine Art von Tweets gespeistes Magazin.
o Oktober 2015: Mit Accelerated Mobile Pages steht das erste Produkt aus dem Google News Lab zur Verfügung. Ein Programmcode, der dafür sorgt, dass Webseiten schneller auf mobilen Geräten geladen werden.
o 17. Februar 2016: Facebook kündigt an, dass ab April jeder Inhalteanbieter „Instant Articles“ nutzen kann.
o 23. Februar 2016: aus Googles Innovation Fund werden die ersten Projekte unterstützt.
Diese neuen Kooperationen, die den Traditionsunternehmen Hilfestellung in der technologischen Entwicklung bieten, die neue Codes und neue Tools liefern, haben vieles in Bewegung gebracht. Sie haben die Bereitschaft vergrößert, sich auf Experimente einzulassen, Chancen auszuloten, zu investieren, nach digitalen Strategien zu suchen.
Dies gilt besonders für Medienunternehmen, die die Reise nach „Digitalien“ schon angetreten haben. Insbesondere für die, die über Programmierer, Informatiker, Digitalstrategen und Digitalstrategien verfügen, also für jene, die schon längst unterwegs sind in der Welt des digitalen Journalismus.
Was folgt aus diesen neuen Kooperationen zwischen den Internet-Firmen aus dem Silicon Valley und den Traditionsmedien? Aus meiner Sicht sind das:
1. Soziale Netzwerke und Suchmaschinen wie Facebook, Twitter und Google sind nicht mehr nur „Plattformen“ oder Intermediäre, Soziale Netze und Suchmaschinen werden Publisher und damit Inhalteanbieter. Das ist ein Paradigmenwechsel. Auch wenn Mark Zuckerberg versichert, dass Facebook eine Vertriebsplattform bliebe. Das stimmt so sicher nicht. Dazu gleich mehr.
2. Der Journalismus wird mehr und mehr abhängig von den Unternehmen, die das Social Web dominieren. Die Eingliederung der Traditionsmedien in die Sphäre des Netzes führt zu neuen, anderen Formen des Geschichtenerzählens und fordert Wissen darüber, welches Thema für welche Plattform wie aufbereitet werden muss.
Die Eingliederung der Traditionsmedien in die Sphäre des Netzes führt auch dazu, dass hier System-Logiken aufeinanderstoßen, die keineswegs deckungsgleich, sondern an entscheidender Stelle konträr sind. Man könnte es auf die Formel bringen: Häufigkeit versus Relevanz – wohl wissend, dass Einschaltquoten, Reichweite, Auflagenhöhe Teil des Mediensystems sind.
Aber: Bei Google, Facebook + Co zählt die von Algorithmen gesteuerte Berechnung von Häufigkeiten, im Journalismus dagegen zählt – oder sollte zählen – Relevanz. Und: Kann man als Nutzer aufwühlende Berichte über die Schicksale von Flüchtenden „liken“? Das scheint mir nicht nur ein semantisches Problem zu sein, das sich nicht ganz so einfach mit neuen Symbolen oder Emoticons lösen lässt.
3. Journalistische Produkte verlieren ihre „Heimat“. Sie werden nicht mehr im Kontext einer Zeitung, einer Zeitschrift, eines Magazins, oder im Gesamtangebot eines Senders wahrgenommen. Sie werden vielmehr einzeln abgerufen und genutzt. Und damit einzeln vermarktet. „Jedes einzelne Stück Journalismus muss es wert sein, dass man dafür bezahlt“, sagt Mark Thompson, der frühere BBC-Chef und jetzige CEO der New York Times .
Das klingt verheißungsvoll, es klingt nach Qualitätssteigerung. Aber was heißt das für den Anspruch des Gesamtprodukts und die Bedeutung der jeweiligen journalistischen Dachmarken? Das „Entbündeln“ der Inhalte wird wohl kaum dafür sorgen, dass publizistische Marken ihr Profil wieder schärfen können – im Gegenteil. Das „Unbundling“ wird – nicht zuletzt unter dem Kostendruck – zur Erosion des publizistischen Anspruchs eines breiten Informationsangebots beitragen.
Wie mächtig Intermediäre wie Google und Facebook sind, zeigen uns allein schon die Nutzerzahlen. Google ist die führende Suchmaschine. Vor allem in Deutschland hat Google mit einem Marktanteil von 95 Prozent ein de-facto-Monopol. Facebook hat mit knapp 1,6 Milliarden Nutzern inzwischen mehr „Einwohner“ als China oder Indien. In Deutschland dürften es rund 27 Millionen sein. Google und Facebook sind nicht nur markt-mächtige Unternehmen, wie der Vorstoß des Bundeskartellamts gegenüber Facebook in der vergangenen Woche deutlich gemacht hat. Google und Facebook sind längst auch meinungsmächtig.
Susan Athey forscht und lehrt an der Stanford University, Economics of Technology heißt ihr Lehrstuhl.
Sie hat sich u.a. mit der Frage befasst, ob soziale Netzwerke ändern, was wir lesen und anschauen.
Ihr Befund : Ja! Und zwar:
o Mehr Persönliches/Individuelles
o Mehr Emotionales
o Mehr Kontroverses
o Die Ausgewogenheit schwindet, der Bias nimmt zu.
„Social Media zeigt Dir mehr von dem, was Du magst“, so ihr Resümee. Und folglich sieht uns Susan Athey auch zunehmend in der „Filter Bubble“.
Doch nicht nur das: Die renommierte Forscherin konnte in großangelegten Untersuchungen mit riesigen Datensätzen nachweisen , was wir aus eigenem Erleben kennen, wenn wir uns ein wenig selbstkritisch beobachten: Die Positionierung der Suchergebnisse entscheidet darüber, ob wir sie zur Kenntnis nehmen. Wenn man das, was an erster Stelle steht, auf Platz 10 schiebt, gehen die Aufrufe gegen Null. Lediglich die ersten beiden Positionen zählen.
Nur wie kommt man dahin? Das entscheiden Algorithmen. Wie weit die Einflussnahme geht, thematisiert Robert Epstein in seinem demnächst erscheinenden Buch „The New Mind Control“. Epstein zeigt mit verschiedenen Experimenten, dass Suchmaschinen politische Willensbildung und Wahlentscheidungen beeinflussen. Besonders bei unentschiedenen Wählern zeigt – so Epsteins Forschung – die Platzierung der Suchergebnisse von Kandidaten große Wirkung. Je weiter oben, desto eher werden sie von den Wählern bevorzugt.
Wer Informationen sammelt, sortiert, auswählt macht Medien. Auch wenn das keine Redakteure sind, sondern Software-Ingenieure, Programmierer, Informatiker, die die Codes schreiben. Wir sind damit bei der Frage, nach welchen Kriterien, nach welchen Regeln und in wessen Interesse dies geschieht. Wir sind damit an einer der drängendsten gesellschaftlichen Frage angekommen und mit ihr verbindet sich die Frage nach einer Ethik von Algorithmen und Daten.
10. März 2016