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Archiv 2009 „Netz-Gesellschaft”

Pressemitteilungen

Die Netz-Gesellschaft oder Revolution 2.0: „Der Zeitgeist fordert mehr Partizipation, die Netzwerke sind da, um dies zu ermöglichen“

Frankfurt a.M., 04.November 2009
In Zukunft zählt Netzwerkkompetenz statt Medienkompetenz – das war die Botschaft von Peter Kruse, dem Web-Vordenker, beim Zukunftsforum der hessischen Landesmedienanstalt (LPR) anlässlich ihres 20jährigen Bestehens am Mittwoch in Frankfurt. Kruse, der Unternehmensberater ist und aus der Psychologie kommt, machte deutlich: Es ist tatsächlich eine Revolution, die derzeit durch die immer stärkere Dominanz des Internet stattfindet; das Entscheidende ist die Partizipationsmöglichkeit, die nicht nur in der privaten Kommunikation, sondern auch in der politischen Willensbildung zum Tragen kommt. Kruse verwies auf das Beispiel der aktuellen Studentenproteste in Österreich, die in Wien ihren Ausgang genommen haben, aber inzwischen europaweit und sogar in China diskutiert werden. Ohne „Anführer“ und Hierarchien sei es den Studenten gelungen, sich über Soziale Netzwerke zu organisieren; via Twitter erreichen sie derzeit 1,5 Millionen Menschen pro Tag. Kruse erinnerte an den Tweet aus dem Bundestagswahlkampf „Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen“ und unterstrich, dass er dem Wahlgang 2013 mit großer Spannung entgegen sehe: „Langweilig wird das sicher nicht werden“. Seine Prognose: Menschen werden sich immer stärker durch Netzwerke in die gesellschaftliche Debatte einbringen, ob es um lokale Ereignisse geht oder um weltpolitisches Geschehen. In Zukunft, so seine Hoffnung, könnten dadurch Diktaturen gestürzt werden. Entscheidend sei es, so Kruse, Themen zu treffen, die in Netzwerken auf Resonanz stoßen; dann sei es ein Leichtes, Gleichgesinnte zu mobilisieren.

Die Durchdringung des Alltags durch das Internet ist ein Phänomen, das nicht nur auf die sogenannten „Digital Natives“ beschränkt ist, auf die Altersgruppe der ab 1980 Geborenen, die bereits mit digitalen Kommunikationsgeräten und dem Web aufgewachsen sind. Das machte die anschließende Debatte deutlich, in der Ibrahim Evsan, Jahrgang 1975 und Mitbegründer der Videoplattform sevenload, eingestand, dass er sein Handy sogar mit ins Bett nehme, um nachts e-mails zu checken. Die Internetpionierin Ulrike Reinhard, Mitinitiatorin der Plattform DNAdigital, nannte es keine Frage des Alters, ob sich jemand als „Digital Native“ oder „Digital Immigrant“ verstehe; es gehe vielmehr um die Identifikation mit dem Netz. Allerdings verwies die Salzburger Kommunikationswissenschaftlerin Ingrid Paus-Hasebrink darauf, dass einer aktuellen Studie zufolge keineswegs alle Jugendlichen produktiv und innovativ mit dem Netz umgingen: „Manche wollen einfach nur dabei sein, weil alle das machen“.

Ob und inwieweit das Internet kontrolliert werden solle oder gar müsse, darüber gingen die Meinungen auf dem Podium weit auseinander. Die Medienökonomin und Bloggerin Gisela Schmalz hielt es für ausreichend, Strukturen zu schaffen, so dass alle sich beteiligen könnten; wie sie sich dann im Netz verhalten, könne man dem gesunden Menschenverstand überlassen. Die Quintessenz der Internetgeneration: Man müsse Netzwerke und damit Partizipation einfach zulassen; von außen zu kontrollieren sei das nicht mehr.
Damit konnte sich der Direktor der LPR Hessen, Wolfgang Thaenert, nur bedingt anfreunden. Ein gewisses Maß an Kontrolle, z.B. bei Gewaltdarstellungen, Kinderpornografie o.ä. sieht er nicht als Eingriff von oben an, sondern als notwendigen Schutz der Gesellschaft. Der Medienordnung, zu der neben den klassischen Medien Print, TV und Radio inzwischen auch das Internet zählt, gehe es darum, auch im Onlinezeitalter ein vielfältiges Angebot für die Gesellschaft aufrecht zu erhalten, damit der demokratische Meinungsbildungsprozess weiter funktioniere. Das Netz biete zwar eine ungeheure Menge an Informationen, aber es blieben die Fragen: Haben alle Bürger ungehinderten Zugang – sowohl was die technische Versorgung angeht als auch die Kompetenz damit umzugehen? Wer sorgt für zuverlässige journalistische Angebote im Netz und vor allem auch für ihre Auffindbarkeit? Aus Sicht des LPR-Direktors gilt es die Spaltung der Informationsgesellschaft in „Digital Natives“ und Ahnungslose, in der Debatte „Digital Ignorants“ titulierte Mitbürger, zu verhindern. Doch die bekannten Regulierungsmechanismen, vor allem des Rundfunkrechts, erwiesen sich in der neuen Medienwelt als nur begrenzt wirksam.
Auch der Vorsitzende der Versammlung, des Aufsichtsgremiums der LPR, Winfried Engel, richtete den Blick nach vorn: „Als Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen sind wir dem Interesse der Allgemeinheit verpflichtet. Das gilt auch für die Aufsicht über das Internet“, betonte er .So schwierig das im www auch sei, dies dürfe nicht zur Resignation führen. Denn es gebe erste Antworten: „Selbstregulierung und Medienkompetenz, das sind die zwei Seiten der Medaille, die ‚Verantwortung‘ heißt. Als Gremium haben wir die Aufgabe, permanent auf die Umsetzung beider Anliegen hinzuwirken“, forderte der Versammlungsvorsitzende.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch stellte am Ende der Debatte fest, dass der Drang zu kontrollieren zwar verständlich und gesellschaftlich notwendig sei, aber im Internet tatsächlich an Grenzen stoße. „Leute in sozialen Netzwerken sind ziemlich sauer, wenn sie beschützt werden“, so Koch. Vor mehr Beteiligung der Bürger durch Netzwerke brauche die Politik keine Angst zu haben, wenn Missbrauch ausgeschlossen werden könne. Er konstatierte Ratlosigkeit seitens der Politik und forderte dazu auf, dass „Digital Natives“ und „Digital Ignorants“ aufeinander zugehen. Der LPR komme dabei eine Vermittlungsfunktion zu.

Weitere Informationen unter www.lpr-forum-medienzukunft.de
V.i.S.d.P: LPR Hessen
Wilhelmshöher Allee 262
34131 Kassel
gez. Prof. Wolfgang Thaenert, Direktor LPR Hessen

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